Zeitenwende: Wird die E-Mobilität das Öl überflüssig machen?

Erdöl
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Die Elektromobilität hat in Deutschland im letzten Jahr aufs Bremspedal gedrückt. Zwar wurden 2023 mehr als 500.000 reine Elektroautos hierzulande neu zugelassen. Das Wachstum gegenüber 2022 lag damit aber nur bei +11,4 %. Zum Vergleich: 2022 waren noch +40 % mehr Stromer neu zugelassen worden als 2021.

Elektromobilität: Globales Wachstum übertrifft Deutschland

Weltweit hingegen sah es 2023 deutlich anders aus. Im Folgenden sehen Sie die Verkäufe von BEVs (reine Batterieautos) und PHEVs (Plug-in-Hybride) auf globaler Ebene zwischen 2014 und Ende 2023:

Quelle: EV Volumes (https://www.ev-volumes.com/)

2023 wurden laut dem Datenanbieter EV Volumes insgesamt 14,2 Millionen neue batterieelektrische Autos und Plug-in-Hybride ausgeliefert. 70 % davon bzw. rund 10 Millionen Exemplare waren reine Stromer. Die Gesamtabsatzzahl entspricht einem Zuwachs von +35 % gegenüber 2022. Berücksichtigt man nur die reinen Stromer, lag das Wachstum immerhin noch bei +30 %.

Der Zuwachs auf globaler Ebene fiel damit 2023 zwar ebenfalls niedriger aus als 2022 – doch der Wachstumsrückgang war bei weitem nicht so stark wie in Deutschland. Vor allem China und Nordamerika erwiesen sich 2023 als Treiber der Elektromobilität. In China stiegen die Absatzzahlen (BEV + PHEV) um +36 %, während der gesamte Automarkt nur um +6,0 % wuchs. In Nordamerika ging es für die E-Mobilität gar um +46 % aufwärts (Gesamtmarkt: +12,3 %). In Europa hingegen wurden 2023 +17 % mehr Stromer und Plug-in-Hybride verkauft, während der gesamte Markt um +14 % zunahm.

Die Elektromobilität abzuschreiben, wie es viele Kritiker in den letzten Monaten lautstark getan hatten, ist also durch die weltweiten Zahlen nicht wirklich zu rechtfertigen. Klar: Das Wachstum entwickelt sich auch weltweit langsamer als ursprünglich gedacht – dennoch immer noch wesentlich stärker als das der Verbrenner.

Neue Analyse von Goldman Sachs: Wird die E-Mobilität die Ölnachfrage abwürgen?

Hierzu hat die renommierte Investmentbank Goldman Sachs kürzlich eine interessante Prognose veröffentlicht. Die Experten erwarten, dass bis 2040 die Elektrofahrzeuge mehr als die Hälfte der Autoverkäufe ausmachen werden. Für den Rohstoffsektor jedenfalls könnte das Folgen haben – allen voran für Öl. Laut Goldman Sachs wird die weltweite Nachfrage nach sogenanntem Straßenöl bis 2032 um +5 % auf einen Höchststand steigen und anschließend auf einem Plateau langsam fallen. Mit dem Begriff „Straßenöl“ ist hier das Öl gemeint, das zum Betrieb von straßentauglichen Verbrennungsfahrzeugen benötigt wird.

Nach Angaben der Investmentbank machten die 1,7 Milliarden Fahrzeuge 2023 weltweit rund 47 % der Ölnachfrage aus – wobei die Hälfte der Straßennachfrage auf Benzin entfiel. Goldman Sachs erwartet nun, dass durch die Elektromobilität die Ölnachfrage sukzessive belastet wird: zum einen wegen der reinen Stromer, die gar kein Öl mehr erfordern und zum anderen wegen der Plug-in-Hybride, die den Ölverbrauch pro Fahrzeug reduzieren. Und: Nicht zuletzt wird der technologische Fortschritte bei den Verbrennungsmotoren eine noch effizientere Ölnutzung bewirken, so die Analysten.

Interessant ist, dass Goldman Sachs deutliche Abweichungen zwischen den Ländern prognostiziert. In den Schwellenländern etwa (ohne China) könnte der Höchststand der Straßenölnutzung erst Anfang der 40er Jahre erreicht sein. In China wiederum könnte es bereits 2025 so weit sein, betont Goldman.

Goldman-Prognose als wahrscheinlicher Mittelweg: zwei Erkenntnisse für Sie

Die Analyse von Goldman Sachs zeichnet indes ein eher konservatives Szenario und liegt in der Mitte zwischen der IEA-Prognose (eher pessimistisch bzgl. langfristiger Ölnachfrage) und der OPEC-Prognose (eher optimistisch bzgl. langfristiger Ölnachfrage). Insofern bietet die Einschätzung von Goldman meiner Meinung nach eine durchaus solide Wahrscheinlichkeit.

Was Sie als Anleger mitnehmen können, sind vor allem zwei wichtige Erkenntnisse. Erstens: Die Elektromobilität ist gekommen, um zu bleiben. Die Wachstumszahlen sind zwar niedriger als erwartet, der endgültige Durchbruch der elektrifizierten Mobilität ist aber nur noch eine Frage der Zeit – auch weil Wirtschaft und Politik bereits jetzt so viel Geld in die Transformation investiert haben, dass es kaum einen Weg mehr zurück gibt. Für die zuletzt eher strauchelnden Batterierohstoffe Lithium und Nickel ist das prinzipiell eine gute Nachricht.

Zweitens: Öl ist wesentlich widerstandsfähiger als Klimaschützer gehofft hatten. Nach wie vor ist der fossile Rohstoff der Motor der Weltwirtschaft und wird dies auch noch einige Zeit bleiben. Die Nachfrage nach Öl wird nicht von einem auf den anderen Tag plötzlich zusammenbrechen, sondern nach dem Peak im Laufe einiger Jahrzehnte langsam und sukzessive zurückgehen.

Berücksichtigen Sie zudem, dass sich die Prognose von Goldman Sachs lediglich auf das Öl bezieht, das zum Betrieb von Straßenfahrzeugen mit Verbrennungsmotoren benötigt wird. In anderen Sektoren lässt sich Öl bei weitem nicht so einfach substituieren. In der Chemiebranche (Petrochemie) etwa wird Öl noch wesentlich länger relevant bleiben. Und auch im Luftverkehr ist ein vollständiger Ersatz etwa durch Biokraftstoffe oder gar Wasserstoff oder Batterie erst einmal unwahrscheinlich.

Mein Fazit für Sie

Auch wenn es auf den ersten Blick ambivalent erscheinen mag: Schreiben Sie als Rohstoff-Anleger das Öl nicht ab und unterschätzen Sie gleichzeitig nicht das Potenzial von Lithium und Co. Die kommenden Jahrzehnte jedenfalls werden von einem Nebeneinander der fossilen Rohstoffe und der Energiewendemetalle geprägt sein – und nicht von einem „entweder … oder …“.