Ölpreis: Warum Sie unbedingt auf Libyen achten sollten
Der Konflikt zwischen Israel und den islamistischen Akteuren Hamas, Hisbollah, Huthi sowie dem Iran hat sich in den letzten Wochen und Monaten immer mehr zugespitzt. Doch dieses Pulverfass ist längst nicht das einzige, das im Nahen Osten aktuell droht, vollends zu eskalieren. Auch in Libyen scheinen sich die Fronten derweil erneut zu verhärten. Und auch dieser Konflikt könnte erhebliche Auswirkungen auf den Ölpreis haben, weshalb Sie als Rohstoff-Anleger die Hintergründe unbedingt kennen sollten.
Libyen: ein Land – zwei Regierungen
Aber der Reihe nach: Nachdem Diktator Muammar al-Gaddafi 2011 von bewaffneten Rebellen gestürzt und getötet wurde, kam es in dem nordafrikanischen Land zu einem langjährigen Bürgerkrieg, der bis 2020 anhielt. In der Folge zerbrach Libyen in einen westlichen und einen östlichen Teil.
Die in der Hauptstadt Tripolis amtierende und international anerkannte Regierung unter Premierminister Abdelhamid Dabeiba beherrscht den Nordwesten des Landes. Ihr Einflussbereich wird hauptsächlich durch die Unterstützung der Türkeigesichert. Im Osten, im Zentrum und im Süden herrschen wiederum General Chalifa Haftar und dessen Söhne mithilfe russischer Militärpräsenz. Zuletzt hatte Haftar 2019 versucht, die Hauptstadt Tripolis einzunehmen, scheiterte aber mit seiner Großoffensive. Seither ist der Konflikt im Prinzip eingefroren und Versuche, eine Einheitsregierung auch auf diplomatischem Wege zu etablieren, schlugen fehl.
Öl-Region unter Kontrolle von General Haftar
Das Land ist somit in zwei politische und geographische Hälften gespaltet. Und eben hier kommt das Öl ins Spiel. Auf der von der US-Behörde für Energiestatistik (EIA) und der Oxford-Universität veröffentlichten Karte sehen Sie die Öl- und Gasaktivitäten in Libyen:
Deutlich erkennbar ist die Konzentration der Aktivitäten im östlichen Sirte-Becken. Dort befinden sich die meisten Ölreserven und Exportterminals des Landes. Kontrolliert wird die Region von der Haftar-Miliz. Das Problem: Jene fossilen Rohstoffe sind für die notorisch kriselnde Volkswirtschaft überlebenswichtig. Etwa 95 % der staatlichen Einnahmen entfallen auf den Mineralölsektor.
Die Einnahmen aus dem ölreichen Sirte-Becken werden jedoch von der in Tripolis sitzenden National Oil Corporation (NOC) an die ebenfalls in der Hauptstadt ansässige Zentralbank geleitet. Heißt: Ein Großteil der staatlichen Einnahmen des Landes ist abhängig von der Gegenregierung unter General Haftar. Kein Wunder, dass dieser jene Abhängigkeit immer wieder nutzt, um politischen Druck zu erzeugen. Dreht Haftar also den Ölhahn zu, gerät die international anerkannte Regierung in Tripolis massiv unter Druck.
Machtspiele um Zentralbank: Steht die Ölproduktion bald still?
Nun deutet sich abermals eine solche Zuspitzung an. Am Montag haben Beamte der Ostregierung dazu aufgerufen, die gesamte Ölproduktion und die Exporte zu stoppen. Hintergrund ist ein Gerangel um die Zentralbank in Tripolis. Beide Konfliktparteien wollen die mächtige Institution unter ihre Kontrolle bringen.
Denn: Über die Zentralbank werden nicht nur die Öleinnahmen geleitet, das Institut ist auch für die Auszahlung der staatlichen Gehälter zuständig. Da es in Libyen kaum eine Privatwirtschaft gibt, ist ein großer Teil der Bevölkerung – gerade auch im ölreichen Osten – beim Staat angestellt und somit auf die Zahlungen durch die Zentralbank angewiesen. Das missfällt wiederum der Gegenregierung von General Haftar, weshalb diese versucht, die Zentralbank unter ihre Kontrolle zu bringen.
Ölpreis-Schub durch Libyen-Konflikt?
Lange Rede, kurzer Sinn: Libyen verfügt über die größten bekannten Ölreserven Afrikas, ist wegen des anhaltenden Konflikts aber längst kein zuverlässiger Lieferant mehr. Vor allem Europa bezieht aus Libyen Öl und Gas. Im letzten Monat produzierte das Land rund 1,15 Millionen Tonnen Barrel pro Tag und damit bereits deutlich weniger als zu Hochzeiten.
Laut Analysten der Citigroup könnt ein kompletter Wegfall der libyschen Exporte den WTI-Ölpreis in den Bereich von 85 USD pro Barrel katapultieren. Das wäre ein Plus von etwa 13 % gegenüber dem Stand von Mittwochmittag (28.08.2024, 12:00 Uhr). Bereits Anfang der Woche hat der Ölpreis angesichts der Zuspitzung in Libyen (und auch der in Israel und im Libanon) etwas zugelegt.
Für die westlichen Akteure wäre ein neuer Ölpreis-Schub jedoch nicht nur von Vorteil. Einige von Ihnen sind seit vielen Jahrzehnten in Libyen aktiv und würden von einem Produktionsstopp direkt betroffen sein. Darunter: TotalEnergies, OMV, Equinor (vormals: Statoil) und Eni.
Mein Fazit für Sie
Die Situation in Libyen ist hochdynamisch und ändert sich praktisch jede Stunde. Entsprechend lassen sich aktuell kaum stichhaltige Prognosen abgeben, wie es in dem Land weitergehen könnte.
Möglich wäre, dass sich die beiden Konfliktparteien einigen und eine gemeinsame Kontrolle der Zentralbank forcieren. Andererseits könnte die Lage auch eskalieren und das Land könnte in ein neues, noch verheerenderes Chaos stürzen. In diesem Falle würden wohl jene Ölkonzerne von höheren Preisen profitieren, die wenig oder gar nicht in Libyen aktiv sind.