Wirtschaftsverbände erleichtert über Wahlausgang
Am Tag nach der Bundestagswahl war von Seiten der Wirtschaftsverbände branchenübergreifend Erleichterung zu vernehmen: Ein Linksbündnis aus SPD, Grünen und Linken hat nach dem dramatischen Absturz der Linkspartei keine Mehrheit im Parlament.
Linkes Schreckgespenst kein Thema mehr
Damit ist das Schreckgespenst vom Tisch, mit dem vor allem die Unionsparteien in den vergangenen Wochen versucht hatten, Wählerpotenziale zu mobilisieren. Immer wieder hatte Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet davor gewarnt, die SPD mit Olaf Scholz lauere geradezu auf ein solches Bündnis – obwohl Scholz selbst als Mann der Großen Koalition und maßgeblich Beteiligter der Agenda-Politik unter Gerhard Schröder eigentlich nicht unbedingt als großer Links-Sympathisant gilt.
Doch parteiintern gibt es entsprechende Strömungen, wie nicht zuletzt durch die Wahl der Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken vor knapp zwei Jahren noch einmal deutlich wurde: Ausgerechnet Olaf Scholz hatte ihnen gegenüber den Kürzeren gezogen im Rennen um den SPD-Vorsitz.
Scholz als logischer Merkel-Nachfolger?
Nun aber gilt er als der Retter der Stunde. Nicht wenige sehen in ihm die logische Fortsetzung nach 16 Jahren Angela Merkel: unaufgeregt bis leidenschaftslos, und damit scheinbar genau der Typus, den sich das deutsche Wahlvolk im Kanzleramt wünscht. Hatte die Union jahrelang vom Merkel-Bonus profitiert und damit unter anderem Wähler von der SPD für sich gewinnen können, schlägt das Pendel nun in die gegenteilige Richtung aus: Scholz sammelt für die SPD fleißig Stimmen aus dem Lager der vorherigen Unionswähler, wobei es sich dabei wohl weniger um grundüberzeugte Konservative handelt, sondern eher um jene, die die Union in den letzten Jahren vor allem wegen Merkel ihre Stimme gegeben hatten.
Tatsächlich befürwortet Demoskopen zufolge sogar eine Mehrheit der Deutschen eine Fortführung der Großen Koalition, nur eben künftig unter roter statt schwarzer Führung. Die Fortführung dieses Bündnisses haben zwar sowohl Union als auch SPD als unerwünschte Variante gebrandmarkt, beide haben ein erneutes Zusammengehen aber auch nicht gänzlich ausgeschlossen.
FDP und Grüne wollen diesmal vorsondieren
Vorerst aber einmal stehen die Zeichen nun auf Ampel, wobei sich Grüne und FDP diesmal – anders als 2017 – in kleiner Runde treffen und „vorsondieren“ wollen. Das erscheint auch dringend nötig, lagen die beiden Parteien in ihren Positionen im Wahlkampf doch denkbar weit auseinander. Diskussionsrunden am Wahlabend klangen da schon weitaus versöhnlicher: Man habe ja im Grunde die gleichen Ziele – Wirtschaftswachstum, Klimaschutz, Digitalisierung, Modernisierung, Veränderung – nur über die richtigen Wege dorthin müsse man sich verständigen.
Sollten die beiden Juniorpartner erfolgreich vorverhandeln, dürfte dies auch ihre Position gegenüber SPD und Union stärken bei den danach folgenden Koalitionsgesprächen. Die Union dient den beiden Kleinen allerdings wohl eher als mögliche Drohkulisse im Verhandlungspoker mit dem Scholz-Lager, denn einen Führungsanspruch können die Christdemokraten aus ihrer krachenden Wahlniederlage und Platz 2 hinter den Genossen kaum ableiten.
Wähler will Wechsel
Das ist im Laufe des Montags auch Laschet klargeworden, der in seinem Statement am Montag schon deutlich zurückhaltender auftrat als noch am Wahlabend. Die Union stehe bereit für Gespräche über ein Bündnis mit Grünen und Liberalen, sollte eine Ampel-Koalition nicht zustande kommen, betonte der sichtlich angeschlagene CDU-Vorsitzende.
Der Wählerauftrag hingegen deutet in eine andere Richtung: SPD, Grüne und FDP gehen klar gestärkt aus der Wahl hervor, die Union ist abgestürzt, die Linke hat sich halbiert und die AfD konnte lediglich ein gewisses Stammwählerpotenzial von gut 10 Prozent erneut für sich gewinnen.
Regierungsbildung noch vor Weihnachten?
Die Zeichen stehen auf Wechsel – und das bitte möglichst schnell, so war auch aus Wirtschaftskreisen zu vernehmen. Bei den Spitzenpolitikern rennen die Verbände damit offene Türen ein: Sowohl Scholz als auch Laschet plädierten für eine Koalitionsbildung möglichst vor Weihnachten. Erinnert man sich an die ebenso komplizierten wie langwierigen Verhandlungen von 2017, bleibt zu hoffen, dass FDP und Grüne daraus gelernt haben und nun die richtigen Konsequenzen ziehen.
Eine tiefgreifende wirtschaftspolitische Reform ist von der künftigen Regierung eher nicht zu erwarten, da FDP und Grüne die Idealvorstellungen der jeweils anderen Partei wohl ausbremsen dürften. Ein schlüssiges Gesamtkonzept erwarten Wirtschaftsvertreter unterdessen beim Klimaschutz: Anstelle einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen solle hier eine umfassende Strategie erarbeitet werden.
Gelingt ein sozial-liberal-ökologisches Gesamtkonzept?
Gelingt es den Parteien tatsächlich, ökologische, soziale und liberale Ideen zu einem großen Gemeinschaftsprojekt zu verknüpfen, könnte Großes bevorstehen. Die Gefahr ist allerdings groß, dass jeder der Partner versucht, eigene Leuchtturmprojekte durchzudrücken und die Regierungsarbeit unterm Strich nicht zusammenpasst.
Allerdings: Der Wille zur Macht ist bei Liberalen wie Grünen spürbar stärker ausgeprägt als noch vor vier Jahren. Die Zeichen stehen auf Wechsel, und der könnte diesmal echte Chancen bieten für alle beteiligten Lager.