Wirtschaft und Wissenschaft fordern mehr Tempo beim Klimaschutz
Mehr Tempo beim Klimaschutz – und ein deutlich früherer Ausstieg aus der Kohleverstromung. Diese Forderung richtet sich an die neue Bundesregierung, deren Zusammensetzung auch knapp drei Wochen nach der Bundestagswahl noch gar nicht feststeht.
Zurzeit sondieren SPD, Grüne und FDP über eine sogenannte Ampel-Koalition. Ob oder wann diese zustande kommt und ob sie sich tatsächlich als Innovationstreiber erweisen kann, steht noch völlig in den Sternen.
Namhafte Großunternehmen fordern mehr Klimaschutz-Vorgaben
Bemerkenswert ist indes, von wem der Klimaschutz-Appell kommt: Auf der einen Seite stellen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Forschungsinstitute entsprechende Forderungen, was eher wenig überrascht. Dass aber Anfang der Woche auch knapp 70 Großunternehmen in einem gemeinsamen Schreiben die Politik zu schnellem und entschlossenem Handeln in Sachen Klimaschutzmaßnahmen aufgefordert hat, ist neu.
Zu den unterzeichnenden Unternehmen gehören unter anderem namhafte Dax-Konzerne wie der Versicherer Allianz, der Softwarehersteller SAP oder der Energiekonzern Eon, aber auch die Drogeriemarktkette Rossmann oder die Otto Group, die den gleichnamigen Versandhandel betreibt.
Kohleausstieg 2030?
Die Unternehmerinitiative „Stiftung 2 Grad“ fordert insbesondere einen schnellen und umfassenden Umstieg von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energiequellen wie Solaranlagen oder Windparks. Der Kohleausstieg, bislang auf spätestens 2038 terminiert, müsse deutlich früher erfolgen – das fordern sowohl die Unternehmer als auch die Wissenschaftler. Geht es nach ihren Vorstellungen, soll die Energiewende bereits um 2030 weitgehend vollendet werden. Anders sei das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 kaum zu schaffen.
Von politischer Seite erwarten die Initiatoren der beiden Appelle demnach sowohl striktere Vorgaben, an denen sich unternehmerische Strategien mittel- und langfristig orientieren können, als auch ein höheres Volumen an staatlichen Investitionen und Subventionsanreizen für den Infrastrukturausbau. Zudem sei der Abbau von bürokratischen Hürden zwingend notwendig.
„Frankreich 2030“: Milliardeninvestitionen in Frankreichs Industrie
In Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron dieser Tage ein ganz ähnliches Vorhaben angekündigt. Rund ein halbes Jahr vor der dortigen Präsidentschaftswahl versprach er ein staatliches Investitionsprogramm in Höhe von 30 Milliarden Euro, das insbesondere für die Stärkung und Modernisierung der französischen Industrielandschaft verwendet werden soll.
Mit dem Programm, das unter dem Titel „Frankreich 2030“ vermarktet wird, sollen sowohl große Industriekonzerne als auch innovative Start-ups in den kommenden fünf Jahren gefördert werden. Neben dem Streben nach größerer Unabhängigkeit im globalen Wettbewerb stehen auch Aspekte wie Klimaschutz im Zentrum der Agenda. Auch Frankreich forciert demnach den Ausstieg aus dem Kohlestrom, setzt dabei aber – anders als die Bundesrepublik – weiterhin auf Atomkraft. Die Technologie soll moderner und sicherer, die Kraftwerke kleiner werden.
Macron packt die Gießkanne aus
Weltmarktführer werden soll Frankreich nach Macrons Vorstellung in Sachen grüner Wasserstoff, und die Automobilindustrie soll in der Transformation hin zum Elektroantrieb ebenfalls vom staatlichen Förderprogramm profitieren. Macron hat also die ganz große Gießkanne ausgepackt und versucht nun auf diese Weise, in der Gunst der Wählerschaft zuzulegen.
Gewählt hatten sie ihn seinerzeit, weil er mit seiner Bewegung „En Marche“ so etwas wie Aufbruchstimmung versprochen hatte. Die großen Reformen, die ihm vorschwebten, scheiterten jedoch allesamt – mal am Widerstand französischer Gewerkschafter, mal am Ausbremsen von deutscher Seite auf europäischer Ebene. In den vergangenen anderthalb Jahren schließlich ließ die Pandemie kaum politische Initiativen zu, es ging allein um Krisenbewältigung.
Gelingt in Berlin endlich der große Wurf?
Nun aber wagt Macron einen Schritt nach vorn. Ein umfassendes, tragfähiges und zukunftsweisendes Gesamtkonzept ist es auch, was Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft von der künftigen Bundesregierung in Berlin erwarten. Bürokratieabbau und Investitionsprogramm klingt nach FDP, Klimaschutz und Energiewende nach den Grünen, die sozialpolitische Begleitung des Strukturwandels in den betreffenden Regionen dürfte der SPD zufallen.
Ob es den Vertretern der drei genannten Parteien aber tatsächlich gelingen wird, nicht nur gemeinsame Ziele zu definieren, sondern sich auch auf einen gemeinsamen Weg dorthin zu verständigen, bleibt weiterhin abzuwarten. Es wäre höchste Zeit, sich stärker aus der Reserve zu wagen, als es das schwarz-rote Bündnis in den vergangenen beiden Legislaturperioden getan hat.
Bereits im Wahlkampf hatten die Grünen immer wieder gemahnt, dass die nächste Regierung die entscheidenden Weichen stellen muss, wenn es mit den Klimazielen in den kommenden Jahrzehnten noch klappen soll. In der Vergangenheit hatten Europa und auch Deutschland die selbstgesteckten Zielmarken regelmäßig klar verfehlt. Wenn es so weitergeht, wird eine Begrenzung der Erderwärmung immer unwahrscheinlicher.