Politische Verwerfungen im „Herbst der Entscheidungen“?
Politische Börsen haben kurze Beine, lautet eine alte Börsenweisheit. Das stimmt zwar – doch in diesem Herbst könnten politische Ereignisse durchaus Einfluss nehmen auf die Stimmungslage am Parkett. Allein die Vielzahl möglicher Verschiebungen sollte Anlegern zu denken geben.
AfD-Stärke hat schon jetzt massive Auswirkungen
Da wären zunächst einmal die drei Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, die in den vergangenen Wochen für viel Wirbel gesorgt haben. Dass die AfD mit zusätzlicher Machtfülle ausgestattet wurde – und dies im Rahmen der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags auch gleich ebenso genüsslich wie verfassungsfeindlich demonstrierte – sorgt nicht nur unter Vertretern anderer politischer Parteien für Kopfzerbrechen.
Mit Hilfe von Sperrminoritäten kann die AfD schon jetzt wichtige Vorhaben und Gremien blockieren und damit ihre politische Linie durchsetzen, auch ohne an irgendeiner Regierung beteiligt zu sein. Ihre dezidiert migrationsfeindliche Haltung wird von nicht wenigen Beobachtern als substanzielle Gefahr für den Wirtschaftsstandort (Ost-)Deutschland betrachtet.
Parteien müssen sich extrem verbiegen, um AfD zu verhindern
Hinzu kommt die potenzielle Unregierbarkeit, die sich durch die neuen politischen Machtverhältnisse abzeichnet: Nicht nur Koalitionen aus 3 Parteien werden zunehmend zum Normalfall. Auch inhaltlich müssen immer tiefere Gräben überwunden werden. Dass sich die CDU ausgerechnet mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht wird arrangieren müssen, um die AfD zu verhindern, wird allen Beteiligten immense Verrenkungen abverlangen bis hin zur Unkenntlichkeit der eigenen politischen Ideen. Allein die AfD bleibt sich treu – während alle anderen zunehmend ihre Programme den Rechtspopulisten anpassen und ihrerseits auf Abschottung und Abgrenzung setzen.
Bundespolitisch wurden aus den Landtagswahlen ebenfalls Konsequenzen gezogen. Bei den Grünen hat das große Stühlerücken begonnen, die Parteiführung wird noch in diesem Herbst komplett wechseln. In der FDP, die es wegen der Marginalisierung ihrer Stimmanteile vereinzelt nicht einmal mehr auf einen eigenen Balken im Prognosediagramm der Berichterstatter gebracht hat, werden Stimmen lauter, die Bundesregierung zu verlassen. Dabei sind es vor allem die Freidemokraten, die immer wieder zuvor im Kabinett beschlossene Gesetzentwürfe im Parlament niederreden.
Scheitert die Ampel noch vor Weihnachten?
Prominente Vertreter der Ampel-Parteien ließen zuletzt durchblicken, dass es womöglich zu vorgezogenen Neuwahlen kommen könnte. Von einer „Übergangsregierung“ war ebenso die Rede wie davon, dass diese Koalition den Jahreswechsel nicht mehr erleben werde. Kurzum: Es rumort gewaltig, ein großes innenpolitisches Beben steht womöglich kurz bevor.
Bereits gesichert ist dagegen ein Personalwechsel im Weißen Haus: Im Rennen um die US-Präsidentschaft ist derzeit völlig offen, ob die Demokratin und derzeitige Vize-Präsidentin Kamala Harris Joe Biden im Oval Office beerben wird, oder ob es doch noch auf eine Rückkehr seines Vorgängers Donald Trump hinausläuft. Letzteres wäre aus wirtschaftlicher Sicht fatal – denn obwohl Trump viele unternehmensfreundliche Entscheidungen wie Steuersenkungen oder Strafzölle auf Importe von Konkurrenten auf den Weg gebracht hat, herrscht mit ihm an der Spitze vor allem eines: Unsicherheit.
Kehrt Trump zurück ins Weiße Haus?
Trump ist bekannt für seine Politik nach Bauchgefühl und seine unberechenbaren Stimmungsschwankungen, sein provokatives Auftreten gegenüber anderen Staatsoberhäuptern und sein berüchtigtes vor-den-Kopf-stoßen eigentlich verbündeter Staaten. Mit einer Rückkehr ins Weiße Haus stünden nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich turbulente Zeiten bevor, und das gefällt der Börse bekanntlich gar nicht. Anleger wissen Berechenbarkeit und Stabilität zu schätzen. Mit Trump wird es beides nicht geben, das hat die Erfahrung seiner ersten Amtszeit bereits mehr als deutlich gemacht.
Dass zugleich die Lage im Nahen Osten immer weiter eskaliert, im Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine kein Ende in Sicht ist und chinesische Unternehmen ihrer westlichen Konkurrenz immer mehr den Rang ablaufen und Marktanteile für sich gewinnen, kommt als Sahnehäubchen für diesen „Herbst der Entscheidungen“ noch erschwerend hinzu.
Es dürften einige unruhige Wochen auf die Anleger zukommen, bis es dann endlich heißt „Stille Nacht“.