Leitzinssenkung trotz massiver Inflation: Türkische Notenbank setzt umstrittenen Kurs fort
Rund um den Globus reagieren Notenbanken auf die Inflation – und drehen an der Zinsschraube. Ob die Bank of England in Großbritannien, die Federal Reserve in den USA oder die Europäische Zentralbank – sie alle haben in den vergangenen Monaten den Leitzins in mehreren Schritten kräftig angehoben. Weitere Zinssteigerungen in nächster Zeit wurden bereits angekündigt.
Notenbanken stemmen sich gegen Inflationsdynamik
Nach herrschender Lehrmeinung gelten Leitzinsanhebungen in der Volkswirtschaftslehre als probates Mittel, um eine aus den Fugen geratene Inflationsdynamik einzudämmen und explodierenden Preisen etwas entgegenzuhalten. Das Problem dabei: Der Mechanismus wirkt zeitverzögert, es braucht eine Weile, bis sich die Inflation tatsächlich abschwächt und sich die überhitzte Wirtschaft abkühlt. Bis dahin haben es Privathaushalte wie Unternehmen mit immensen Preissteigerungen zu tun.
In vielen Ländern Europas etwa erreichten die Teuerungsraten in den vergangenen Monaten rund 10 Prozent und damit den höchsten Wert seit Bestehen der Währungsunion. Auch in Deutschland waren die Preissteigerungen seit den 1980er Jahren nie wieder so drastisch wie jetzt. Es sind die Spätfolgen der Pandemie mit ihren Produktionsausfällen und Lieferkettenproblemen, die hierzu ihren Beitrag leisten, aber auch die akuten Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Seither sind die Energiepreise völlig aus dem Ruder gelaufen, was sich wiederum auf alle anderen Wirtschafts- und Lebensbereiche auswirkt.
Türkei: Inflation über 80 Prozent – Notenbank senkt Leitzins
Während man in Europa über (annähernd oder tatsächlich) zweistellige Preissteigerungen klagt, ist die Lage in der Türkei weitaus dramatischer. Dort liegt die Inflation inzwischen bei mehr als 80 Prozent – und die dortige Notenbank reagiert, anders als die meisten anderen, mit Zinssenkungen.
Zwar ist der Leitzins mit 10,5 Prozent immer noch deutlich höher als hierzulande, doch erst vor wenigen Tagen verkündeten die Währungshüter in der Türkei eine Reduzierung des Leitzinses von 12 auf 10,5 Prozent. Innerhalb eines Jahres hat sich der Leitzins in der Türkei damit fast halbiert: Im Sommer 2021 lag er noch bei 19 Prozent. Weitere Senkungen gelten als wahrscheinlich – nicht zuletzt, weil Staatschef Recep Tayyip Erdogan steigenden Zinsen kritisch gegenübersteht.
Wirtschaftswachstum wohl deutlich ausgebremst
Er bevorzugt günstige Kredite, mit denen Produktion und Export gestützt werden sollen, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Tatsächlich verzeichnete das türkische Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr ein beachtliches plus von rund 11 Prozent. Auch in diesem Jahr dürfte das Wirtschaftswachstum mit rund 3,5 Prozent zwar deutlich schwächer als zuvor, aber immer noch stärker als in den meisten anderen Ländern Europas ausfallen.
Neben der hohen Inflation kämpft die Türkei in diesem Jahr mit Rückschlägen im Tourismussektor. Hier wirkt sich der Krieg in der Ukraine besonders negativ aus – zumal auch das Urlaubsbudget in vielen Haushalten inflationsbedingt in sich zusammenfiel.