Flutkatastrophe und Wahlkampf: Von Selbstbeschädigung und starken Bildern
Knapp zwei Monate vor der Bundestagswahl rütteln aktuelle Ereignisse Politik und Gesellschaft auf – und könnten das Potenzial entwickeln, den Wahlausgang zu beeinflussen. Die Rede ist insbesondere von der verheerenden Flutkatastrophe, die vor rund zwei Wochen weite Teile von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz getroffen hat.
An Normalität ist hier noch lange nicht zu denken. Die Aufräumarbeiten laufen, noch immer gelten dutzende Menschen als vermisst, zahlreiche Haushalte sind nach wie vor ohne Strom, die Mobilität ist wegen der massiv beschädigten Infrastruktur erheblich eingeschränkt.
Inwiefern aber hat die Katastrophe das Potenzial, sich auf die Bundestagswahl auszuwirken?
Laschet lacht sich in die Bredouille
Die Krise ist die Stunde der Exekutive, heißt es im Volksmund. So gesehen wäre es vor allem Armin Laschet, der Kanzlerkandidat der Unionsparteien, der sich im Zuge der Katastrophe profilieren und bei den Wählern punkten könnte. Immerhin ist er als NRW-Ministerpräsident unmittelbar zuständig.
Pflichtbewusst sagte Laschet sogleich den Auftritt bei der CSU-Klausur ab, um sich stattdessen in der Katastrophenregion blicken zu lassen. Anders als Altkanzler Gerhard Schröder von der SPD seinerzeit bei der Oder-Flutkatastrophe 2002 trat Laschet jedoch nicht mit Gummistiefeln, sondern im schicken Anzug vor die Kameras. Sein Lachen im Hintergrund, eingefangen von etlichen TV-Kameras, die im Vordergrund das Beileids-Statement des Bundespräsidenten filmten, fiel ihm ebenfalls auf die Füße.
Kein Anlass, die Politik zu überdenken?
Auch die Aussage unmittelbar nach den Starkregenfällen, wonach er nicht gedenke, seine Politik zu verändern, „nur weil heute ein solcher Tag“ sei, sorgte in Teilen der Bevölkerung für Empörung. Angesprochen auf Klimaschutzmaßnahmen beteuerte Laschet ein ums andere Mal, man habe bereits ehrgeizige Ziele auf den Weg gebracht – und diesen Weg gelte es nun weiterhin zu beschreiten, nicht aber zu korrigieren.
Was aber sonst, wenn nicht einschneidende Ereignisse, wäre geeignet, den eigenen politischen Kompass noch einmal zu überprüfen und notfalls geradezurücken? Angela Merkel hat vor gut zehn Jahren die Atomkatastrophe von Fukushima zum Anlass genommen, ihre Energiepolitik um 180 Grad zu drehen – und wenige Monate nach der Laufzeitverlängerung mit einer schwarz-gelben Bundesregierung den Atomausstieg beschlossen und die Energiewende beschleunigt. Ein solches Format legt Laschet bis dato nicht an den Tag.
Als profilierter Krisenmanager oder zupackender Kümmerer trat er im Zusammenhang mit der Flut nicht in Erscheinung. Ihn hat sein Auftreten rund um die Flutkatastrophe eher beschädigt, als dass es ihm zusätzliche Stimmen eingebracht hätte.
Scholz winkt Soforthilfen durch
Olaf Scholz ist als Finanzminister auf Bundesebene eher indirekt in die Geschehnisse eingebunden. Eine persönliche Verbindung zu den betroffenen Gebieten hat er als Politiker nicht, er konnte also lediglich die Milliardenhilfen zügig auf den Weg bringen, die es nun braucht für den Wiederaufbau und die Soforthilfen, die so unbürokratisch wie selten zuvor fließen sollen. Zum Teil genügt ein mündlich vorgetragener Antrag. Die Kontrolle auf mögliche Betrügereien, wie es sie im Zusammenhang mit den Coronahilfen oder Schnelltestzentren in den vergangenen Monaten immer wieder gegeben hatte, soll erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen, womöglich erst nach der Bundestagswahl.
Dennoch ließ es sich auch Olaf Scholz nicht nehmen, sich im Katastrophengebiet zu zeigen – an der Seite seiner Parteigenossin Malu Dreyer, die als Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz hohe Beliebtheitswerte genießt.
Starke Frauen liefern starke Bilder
Und Dreyer empfing weiteren hohen Besuch: Nach ihrer Rückkehr aus den USA besuchte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel betroffene Ortschaften – und wählte dabei nicht etwa Kommunen im Bundesland ihres Parteifreundes Laschet, sondern zeigte sich Seite an Seite mit Dreyer in der rheinland-pfälzischen Flutregion.
Dabei lieferte sie ein starkes Bild, als sie die an Multipler Sklerose erkrankte Ministerpräsidentin stützte. Zwei starke, mächtige Frauen, Hand in Hand im Katastrophengebiet – die Wirkung war eine ganz andere als beim lachenden Laschet im Hintergrund des Bundespräsidenten.
Baerbock hält sich bedeckt
Die einzige Kanzlerkandidatin ohne eigene Amtsverantwortung ist Annalena Baerbock. Auch sie brach ihren Sommerurlaub ab und besuchte die Katastrophenregion, allerdings ohne mediale Begleitung oder öffentliche Statements. Sie machte sich vor Ort ein Bild, ohne dies öffentlichkeitswirksam für den Wahlkampf auszuschlachten.
Damit blieben ihr Negativschlagzeilen erspart, Positivschlagzeilen gab es allerdings auch nicht. Stattdessen ist es auffällig still um Baerbock, die vor ihrem Urlaub wegen offenbar aufgebauschter Plagiatsvorwürfe unter Druck geraten war.
Experten sehen Klimawandel als Ursache der Flut
Profitieren könnte sie von den Ereignissen dennoch: Klimaforscher und Meteorologen sind sich einig, dass die Flutkatastrophe auf den Klimawandel zurückzuführen ist. Dass sich der Starkregen über so lange Zeit über einer Region festsetzen konnte, ohne weiterzuziehen, begründet sich ihrer Einschätzung nach aus dem abgeschwächten Jetstream. Dieser Effekt wiederum geht zurück auf einen geringeren Temperaturunterschied zwischen Nordpol und Äquator – eine direkte Folge des Abschmelzens der Polkappen, bedingt durch die zunehmenden Temperaturen.
Die klimabedingten Einschläge rücken näher, sie werden heftiger und sie werden häufiger – darin sind sich Experten weitgehend einig. Allein der Blick auf die vergangenen Jahre in Deutschland genügt, um dies exemplarisch zu belegen – die Hitzesommer 2018 und 2019, in denen wochenlang überhaupt kein Regen fiel, stehen im krassen Kontrast zu den diesjährigen Sommermonaten mit zahlreichen Niederschlägen und vergleichsweise wenigen Hitzetagen.
Grüner Markenkern rückt nach oben auf politischer Agenda
Klimapolitik rückt immer stärker ins Zentrum der öffentlichen, medialen, gesellschaftlichen und politischen Agenda – und sie bildet seit jeher den Markenkern der Grünen, für die Baerbock nun antritt.
Die vergangenen Bundesregierungen haben sich den Klimaschutz zwar immer wieder auf die Fahnen geschrieben, tatsächlich passiert ist allerdings ziemlich wenig – zu wenig, wie sich nun zeigt. Die einzige Partei mit Kanzlerkandidatur, die an keiner der vergangenen Regierungen beteiligt war, sind die Grünen.
Der Malus der fehlenden Amtsinhaberschaft könnte sich nun zum Bonus wandeln.