Europa zwischen den Polen: Beziehungen zu China neu definieren?

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Die Lage spitzt sich zu. Seit die Zentralregierung in China das neue sogenannte Sicherheitsgesetz für Hongkong in Kraft gesetzt hat, zeigen sich die Auswirkungen, die zum Teil drastischer ausfallen als befürchtet.

Etliche Aktivisten wurden festgenommen, die Polizei kann nun härtere Repressalien einsetzen. In einer Art vorauseilendem Gehorsam haben viele chinakritische Einzelpersonen, Geschäfte oder Institutionen ihre bislang öffentlichen Statements zurückgezogen, aus Furcht vor den Konsequenzen.

Kurzum: Die chinesische Führung greift hart durch gegen ihre Kritiker in Hongkong, die bislang im Gegensatz zu ihren Landsleuten auf dem Festland größere Freiheiten in Sachen Meinungsäußerung gewohnt waren.

Das Dilemma Europas

Für Europa gerät die Lage zunehmend zum Dilemma. Die Menschenrechtssituation in China wird auf diplomatischer Ebene hinter verschlossenen Türen immer wieder thematisiert, allerdings ohne allzu nennenswerte Effekte. Europa agiert zurückhaltend – zu stark ist man auf die Handelsbeziehungen zum Reich der Mitte angewiesen.

Bereits seit Jahren steigt China wirtschaftlich auf und nimmt im globalen Mächtekanon längst die Rolle einer Weltmacht ein. Selbst die US-Regierung unter der Führung von Präsident Donald Trump hat China zum neuen Feindbild der USA auserkoren, Russland verliert daneben an Bedeutung.

Gerade die kulturellen Differenzen auf politischer und diplomatischer Ebene könnten kaum schärfer sein als zwischen dem offensiven US-Regierungschef und der chinesischen Führung, die seit jeher auf eher leise Töne setzt.

Wichtige Handelspartner

Europa hängt zwischen beiden Polen. Die Handelsbeziehungen zu beiden Großmächten sind für Europa insgesamt, vor allem aber für die Exportnation Deutschland von herausragender Bedeutung. Gleichzeitig haben die Beziehungen auf politischer Ebene insbesondere zu den USA extrem gelitten in den knapp vier Jahren der trumpschen Präsidentschaft.

Nicht zuletzt deshalb blicken europäische Staatschefs gebannt auf die Entwicklungen im Präsidentschaftswahlkampf. Anfang November werden die Amerikaner erneut an die Wahlurnen gebeten. Eine zweite Amtszeit für Trump scheint nicht ausgeschlossen, wenngleich er an Zustimmung verliert, insbesondere im Zuge seines Umgangs mit der Coronakrise.

Mit seiner Aussage, eine geringere Testquote würde auch die Coronafälle in den USA verkleinern, zeigt sich einmal mehr die intellektuelle Naivität des mächtigsten Mannes der Welt. Sich lediglich die Augen zuzuhalten, lässt Probleme nicht einfach verschwinden, selbst wenn man sie für den Moment nicht mehr sieht.

Machtverhältnisse werden neu gemischt

In einer Gemengelage eines geschwächten Russlands, eines erstarkenden Chinas und unberechenbarer USA ist es für Europa wichtiger denn je, zusammenzurücken und mit einer gemeinsamen Stimme nach außen aufzutreten, um international nicht an Bedeutung zu verlieren. Einzelne Länder, selbst Frankreich oder Deutschland, werden allein kein nennenswertes Gegengewicht bilden können.

Vieles hängt nun davon ab, wie die US-Präsidentschaftswahl im Herbst ausgeht – wird die Episode Trump zügig abgehakt und ein Nachfolger kehrt die innen- und außenpolitischen Scherbenhaufen wieder zusammen? Oder werden weitere vier Jahre Trump die USA noch weiter entzweien und auf Distanz rücken zu internationalen Organisationen?

Es ist wohl eine der entscheidenden Fragen in diesem ohnehin so ungewöhnlichen Jahr 2020.