Coronabonds: Allheilmittel oder Teufelszeug?

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Zerbricht Europa an Corona?

Die Europäische Union hat in ihrer Geschichte bereits zahlreiche Krisen überstanden und ist unterm Strich immer enger zusammengerückt. Auf den Zusammenbruch der Sowjetunion folgte die EU-Osterweiterung, in den 1990er Jahren wurden erst die Grenzkontrollen abgeschafft und schließlich in zahlreichen EU-Ländern eine gemeinsame Währung eingeführt, die vor gut zehn Jahren erfolgreich gegen die globale Finanz- und Wirtschaftskrise verteidigt werden konnte. Die Weichenstellung deutete stets in Richtung einer engeren Verflechtung der Gemeinschaft, trotz aller Differenzen.

Inzwischen aber ist die Europäische Union in ihren Grundfesten erschüttert. Mit Großbritannien ist Anfang des Jahres das erste Land freiwillig aus der Staatengemeinschaft ausgestiegen. Eigentlich hatten alle Beobachter damit gerechnet, dass die nachfolgenden Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und den verbliebenen EU-27 das beherrschende Thema des Jahres sein würde. Doch dann kam Corona.

Ausnahmezustand – gesellschaftlich und wirtschaftlich

Das Virus hat Deutschland, Europa und die ganze Welt von heute auf morgen in eine Pandemie gestürzt, deren Ausmaß und Folgen sich auch jetzt, Anfang April, noch nicht abschätzen lassen. Tausende Menschen sind bereits an den Folgen der Covid-19 genannten Lungenerkrankung verstorben, tausende weitere sind zu befürchten.

Unterdessen ist das öffentliche Leben in zahlreichen Staaten nahezu zum Erliegen gekommen, die Wirtschaft liegt am Boden, Staaten schnüren Hilfspakete – und Europa macht die Grenzen dicht. Die Außengrenzen werden noch weniger passierbar als vorher, und auch die Binnengrenzen unterliegen zwischen vielen Staaten inzwischen wieder schärferen Kontrollen. Abgesehen von Berufspendlern darf praktisch niemand mehr grenzübergreifend reisen.

Europäische Strategie nicht erkennbar

Eine übergeordnete europäische Krisenstrategie ist nicht zu erkennen. Stattdessen kochen die Nationalstaaten ihr eigenes Süppchen, schotten sich ab gegen ihre Nachbarn und Ungarns Staatschef Victor Orban nutzt die Gunst der Stunde, um sich eine zeitlich unbegrenzte Machtkonzentration zu sicher. Die Gewaltenteilung – ein demokratisches Grundprinzip der EU – ist in Ungarn damit faktisch außer Kraft gesetzt, was von Brüssel bislang lediglich verbal kritisiert wird, ohne weitere Konsequenzen.

Um die wirtschaftlichen Folgen einzudämmen, rücken nun wieder Themen auf die Tagesordnung, die aus den Zeiten der Finanzkrise noch bekannt sein dürften. So soll der eigentlich als Bankenrettungsschirm konzipierte Europäische Stabilitäts-Mechanismus (ESM) aktiviert werden, um Staaten durch die Krise zu helfen.

Kommen Coronabonds nun doch noch?

Kritiker fordern hingegen die Einführung von „Coronabonds“ – die vor zehn Jahren mal unter der Bezeichnung „Eurobonds“ diskutiert und verworfen wurden – also eine gemeinsame Anleihe der Euro-Staaten, auch als „Vergemeinschaftung von Schulden“ verschrien. Italien und Spanien, von der Coronakrise gesellschaftlich wie wirtschaftlich besonders stark betroffen, rufen nach entsprechenden Maßnahmen. Unterstützung erhalten sie aus Paris vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der an die Solidarität der Gemeinschaft appelliert.

Doch die Regierungen in Deutschland, den Niederlanden und auch Österreich sind strikt gegen solche Bonds und werden sie letztlich wohl erneut verhindern. Nicht wenige befürchten, dass sich daran eine neue Staatsschulden- und Finanzkrise entwickeln könnte, insbesondere im Süden Europas.

Zerbricht die EU also an Corona? Nicht unbedingt. Einige Sollbruchstellen zeichnen sich allerdings jetzt schon ab – und wir stehen noch ganz am Anfang.