Chaostage in Großbritannien: Von der Lady zur Lachnummer

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Chaostage in Großbritannien: Das Regierungsdesaster ist perfekt. Nach gerade einmal 6 Wochen im Amt, in denen bereits mehrere Minister ausgetauscht wurden, ist Liz Truss als Parteivorsitzende der Konservativen sowie als Premierministerin zurückgetreten.

Truss tat, wofür sie gewählt war – und wurde dafür geschasst

Pikanterweise wurde ihr aus den eigenen Reihen der Rückhalt entzogen, nachdem sie genau jene Reformen angehen wollte, für die sie im parteiinternen Wahlkampf im Sommer geworben hatte – und für die sie bei den Tories damals noch Unterstützung erfuhr.

Genau diese Pläne, die unter anderem umfassende Steuersenkungen versprachen, wollte sie ihren Finanzminister nun umsetzen lassen – doch offenbar hatte die Regierungschefin die Panikreaktion der Märkte unterschätzt. So entließ sie zunächst den Fachminister – und trat nur wenig später selbst zurück.

Basis hätte Johnson wohl erneut unterstützt

In der vergangenen Woche hatte sich die Lage zugespitzt. Zunächst hatte es noch so ausgesehen, als würde Truss sich noch einige Wochen halten können, doch dann ging alles doch ganz schnell. Nun sind die Tories verzweifelt auf der Suche nach einem geeigneten Nachfolger. Bis zu drei Kandidaten können von der Fraktion nominiert werden, möglicherweise kommt es zu einer Stichwahl, bei der auch die Parteibasis einbezogen würde.

In diesem Fall wurden bis zuletzt ausgerechnet Boris Johnson gute Chancen zugesprochen – also gerade jenem Premier, der erst vor wenigen Wochen selbst das Amt geräumt hatte und dessen Beliebtheitswerte in der Bevölkerung seit dem Partygate-Skandal auf einen Tiefstwert abgestürzt sind. Dennoch brach er nach dem Rücktritt von Truss seinen Karibikurlaub ab und beeilte sich zu betonen, zum Wohle des Volkes stehe er bereit, das Amt erneut zu übernehmen.

Johnson winkt ab – Labour drängt auf Neuwahlen

Tatsächlich hätte er die nötige Unterstützung aus den Reihen der Tory-Fraktion gerüchteweise wohl zusammenbekommen, doch am späten Sonntagabend wurde bekannt, dass Johnson nun doch auf eine erneute Kandidatur verzichten will und somit den Weg für einen anderen Nachfolger freigibt.

Die oppositionelle Labour-Partei pocht auf allgemeine Neuwahlen, auch die Bevölkerung wünscht sich mehrheitlich, zur Wahlurne schreiten zu dürfen – doch die Tories werden alles tun, um das zu verhindern. Es wäre wohl politischer Selbstmord: Umfragen zufolge sind die Konservativen in der Gunst der Wähler massiv abgestürzt, ein haushoher Wahlsieg für Labour wäre zum jetzigen Zeitpunkt weitgehend sicher.

Großbritannien vor historischer Zerreißprobe

Stattdessen wollen die Konservativen nun einmal mehr unter sich ausmachen, wer die nächste Regierung anführt. Ein Ergebnis soll noch im Laufe der Woche zustande kommen und bis spätestens Freitag feststehen. Einen längeren Wahlkampf wie vor zwei Monaten kann sich das Land gerade schlichtweg nicht leisten.

Noch immer steht die Landeswährung unter Druck, wenngleich das Pfund nach dem Rückzug von Truss zulegen konnte. Die Inflation stieg im September auf 10,1 Prozent und fiel damit so hoch aus wie seit 40 Jahren nicht mehr. Völlig unklar ist außerdem, welche längerfristigen Folgen der EU-Austritt noch nach sich zieht: Weder ist man mit der bisherigen Nordirland-Regelung sonderlich glücklich, noch kann man sicher sein, dass das Vereinigte Königreich in seiner heutigen Form noch lange Bestand haben wird.

Wiege der Demokratie wird zur politischen Lachnummer

Längst liebäugeln die Schotten mit einem erneuten Unabhängigkeitsreferendum. Hinzu kommt das Ableben der langjährigen Monarchin Elizabeth II. Anfang September. Ohne ihre integrative Kraft drohen die Fliehkräfte stärker zu werden, die das Königreich auseinandertreiben.

Die kurze Amtszeit der Liz Truss markiert somit in gleich mehrfacher Hinsicht eine historische Zäsur für Großbritannien – innerhalb dieser sechs Wochen gab es den ersten Thronwechsel nach mehr als 7 Jahrzehnten. Gerade in diesem für das Volk so schwierigen Moment hätte es an der Staatsspitze eine verlässliche und stabile Regierung gebraucht, die für Rückhalt und Kontinuität sorgt.

Stattdessen wird ausgerechnet Großbritannien, das stets stolz war auf seine Rolle als Ursprungsland der modernen parlamentarischen Demokratie in Europa, zur politischen Lachnummer – eine Rolle, mit denen sich die so stolzen Briten so gar nicht anfreunden mögen. Und doch könnte dieser Ruf noch länger erhalten bleiben, sollte es in Kürze tatsächlich zu einem Comeback von Boris Johnson in Downing Street No. 10 kommen.