Bundesregierung beschließt schärfere Klimavorgaben
Es sind bemerkenswerte Vorgänge im politischen Berlin dieser Tage. Keine zwei Wochen hat es gedauert, mal eben ein verschärftes Klimagesetz auf den Weg zu bringen, das heute im Kabinett verabschiedet wird.
Verfassungsgericht schützt künftige Freiheitsrechte
Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem aufsehenerregenden Urteil kürzlich festgestellt, dass die bisherigen klimapolitischen Ziele nicht ambitioniert genug seien – und die Freiheitsrechte jüngerer Menschen einschränkten. Denn die müssten in Zukunft mit den Folgen des Klimawandels zurechtkommen und umso härtere Sparmaßnahmen einhalten, wenn jetzt nicht zügig mehr geschieht.
Und siehe da – auf einmal geht es ganz schnell. Bundesminister sämtlicher Regierungsparteien zeigten sich geradezu erfreut über das Urteil. Während die Karlsruher Richter normalerweise oft die Regierung erst zu einem besseren Gesetz hintragen muss, konnte es der Regierung jetzt gar nicht schnell genug gehen mit der Umsetzung, für die sie eigentlich noch bis Ende 2022 Zeit gehabt hätten.
Getrieben von grünen Umfrage-Höchstwerten
Das liegt wohl vor allem an der bevorstehenden Bundestagswahl – und den enorm guten Umfragewerten der Grünen, deren Kernthema nach wie vor die Umwelt- und Klimapolitik ist und die deutlich strengere und schnellere Klimaziele fordern als sie bislang festgeschrieben wurden.
Auf einmal entdecken selbst Unionspolitiker ihre Liebe zur Umweltpolitik. Damit könnte sich die bisherige Kanzlerpartei die Anschlussfähigkeit zu den Grünen sichern, deren Regierungsbeteiligung nach der Wahl aus heutiger Sicht ziemlich wahrscheinlich erscheint.
Mehr Reduzierung in kürzerer Zeit
Doch bei genauerer Betrachtung erweist sich auch das hastig verabschiedete neue Klimagesetz vor allem als aktionistisch: Inhaltlich hat sich nicht viel verändert, im Wesentlichen wurden die Zielvorgaben angepasst und verschärft. Gegenüber 1990 sollen nicht mehr nur 55, sondern 65 Prozent der Emissionen eingespart werden, die Klimaneutralität soll nicht erst 2050, sondern bereits fünf Jahre früher im Jahr 2045 erreicht werden und dergleichen mehr.
Strenge Zielvorgaben allein tragen aber längst nicht zur tatsächlichen Reduktion klimaschädlicher Treibhausgase bei. Ganz im Gegenteil: Betrachtet man die vergangenen Jahrzehnte, waren die Klimaziele für die Regierenden meist eher ein grober Orientierungsrahmen, dem man sich anzunähern versuchte, was in der Regel nicht geklappt hat. Regelmäßig wurden die hochgesteckten Ziele verfehlt. Warum das diesmal anders werden sollte, bleibt weiterhin unklar.
Verkehrswende als wichtiger Baustein
Fest steht: Es sind diverse Bereiche, in denen Stellschrauben neu justiert werden müssen, um die nun noch ambitionierteren Zielvorgaben auch nur annähernd erreichen zu können. Ganz oben auf der Agenda steht die Forderung nach einer Verkehrswende: Mehr öffentlicher Personennahverkehr, weniger Individualverkehr, mehr Fahrrad statt Auto, mehr Bahn statt Flugzeug.
Das allerdings steht im diametralen Kontrast zur bisherigen bundesdeutschen Politik. Die Automobilindustrie als einer der wichtigsten Wirtschaftszweige wurde in den vergangenen Jahrzehnten stets bevorzugt behandelt. Deutsche Städte und Verkehrsnetze sind auf das Auto ausgerichtet, Fahrräder finden nur selten ausreichend Platz, um sich sicher durch den Stadtverkehr zu manövrieren.
Die Bahn muss attraktiver werden
Auch die Bahn wurde jahrelang kaputtgespart, Unsummen im umstrittenen Stuttgarter Tiefbahnhof versenkt, erst allmählich kommt eine gewisse Modernisierung in Gang. Dazu beitragen soll unter anderem der angestrebte „Deutschlandtakt“, der Fernverbindungen mit geringen Umsteigezeiten aufeinander abstimmen soll, sodass die Knotenpunkte besser als bisher miteinander vernetzt sind.
Um die Bahn jedoch zu einer wirklichen Alternative zu machen und ihre Attraktivität auch für die Kunden merklich zu steigern, bräuchte es erheblich günstigere Fahrpreise. Bisher kannte die Preisschraube, an der jährlich zur Fahrplanumstellung im Dezember gedreht wird, lediglich eine Richtung: Bahnfahren wurde immer teurer.
Strengere Vorgaben auch für andere Branchen
Neben der Verkehrswende sind weitere wichtige Reformen erforderlich, um die neuen Klimaziele annähernd einhalten zu können. Gebäudesanierungen und Elektromobilität sind zwei zentrale Stichworte, aber auch der Ökostromanteil soll sukzessive ausgebaut werden.
Dazu aber braucht es erheblich größere Anstrengungen, als bislang erkennbar sind – denn nicht nur der Anteil des Ökostroms soll steigen, zugleich wird auch der Energiebedarf in die Höhe schnellen, wenn Autos in absehbarer Zeit rein elektrisch betrieben werden sollen.
Umsetzung bleibt Aufgabe der künftigen Regierung
Fest steht schon jetzt: Auch wenn sich die Regierung beeilt hat, verschärfte klimapolitische Ziele noch in dieser Legislatur zu verabschieden – die Mammutaufgabe der Umsetzung bleibt erst einmal liegen und wird neben der Bewältigung der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Folgen der Corona-Pandemie eines der zentralen Themen der kommenden Legislaturperiode werden.
Unternehmen aus der Immobilien-, Automobil- und Energiebranche müssen sich weiterhin auf tiefgreifende Einschnitte einstellen. Die Umwälzung hat bereits begonnen, doch Intensität und Tempo dürften noch einmal anziehen. Zudem werden sich auch andere Industriezweige künftig wohl auf schärfere Umweltschutzvorgaben einrichten müssen.
Um die Ziele zu erreichen, muss jede Branche ihren Beitrag leisten.