Biden vereidigt – Weckruf für Europa?
Seit dieser Woche ist es soweit: Donald Trump ist nicht mehr Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.
Die Welt hat spürbar aufgeatmet nach Ablauf der vier Jahre, und noch einmal zusätzlich, als am Mittwoch bei der Vereidigung des Nachfolgers Joe Biden alles reibungslos über die Bühne ging. Davon war im Vorfeld keineswegs sicher auszugehen, nachdem Trump immer wieder öffentlich das Wahlergebnis angezweifelt und seine Anhänger aufgestachelt hatte, das Chaos gipfelte in der Erstürmung des Kapitols Anfang Januar, bei der fünf Menschen ihr Leben ließen.
Infolgedessen war Washington in den Tagen vor der Inauguration Bidens zur Hochsicherheitszone umgewandelt worden. U-Bahn-Haltestellen wurden geschlossen, es kamen so viele Sicherheitskräfte zusammen wie selten zuvor – und am Ende lief alles glatt.
Die USA sind zurück auf der Weltbühne
Biden ist vereidigt, und hat bereits in den ersten Stunden seiner Amtszeit damit begonnen, Entscheidungen seines Vorgängers rückgängig zu machen. So treten die USA dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder bei und auch der Weltgesundheitsorganisation. Beiden hatte Trump erbost den Rücken gekehrt, weil angeblich für die USA zu wenig dabei herausspringe.
Eine der größten Herausforderungen, die nun auf Biden warten, ist zweifelsohne die Bekämpfung der Corona-Pandemie, die der bisherige Präsident dilettantisch bis überhaupt nicht organisiert hatte. Biden brachte nun eine umfassende Strategie auf den Weg, Maskenpflicht inklusive.
Zurück zur Vorherrschaft der Supermacht?
Außenpolitisch ist Bidens größter Trumpf: Er ist nicht Trump. Allein das bringt ihm schon eine Menge Vorschusslorbeeren. Es wird nicht alles gut, aber vieles besser werden mit Biden im Weißen Haus, so der Tenor bei den meisten Partnern der USA. Die Europäische Union beispielsweise bot der neuen US-Regierung einen Neustart der transatlantischen Beziehungen an, nachdem in den vergangenen vier Jahren viel Porzellan zerbrochen wurde.
Biden hat bereits klargestellt, dass er sowohl auf transnationale Zusammenarbeit und internationale Partnerschaften setzen will, als auch die Machtposition der USA in der Welt wiederherstellen. Während der Chaosjahre unter Trump hat nicht zuletzt China die Chance genutzt, seinen wirtschaftlichen und somit auch politischen Einfluss in der Welt deutlich auszubauen, und auch der Kreml mischt bei geopolitischen Machtfragen wieder stärker mit.
Brüssel muss erwachsen werden
Eine vergleichsweise schwache Position nimmt demgegenüber die Europäische Union ein, die sich zwar über die Rückkehr von Vernunft und Diplomatie ins Weiße Haus freuen darf, die aber gut beraten wäre, die vergangenen vier Jahre auch als Mahnung zu verstehen: Der europäische Staatenbund muss endlich erwachsen werden, enger zusammenwachsen und stärker mit einer Stimme sprechen, will er sich auf internationaler Bühne tatsächlich Gehör verschaffen.
Andernfalls wird Europa erneut zum Spielball äußerer Mächte und im Zweifelsfall aufgerieben zwischen deren Interessen. Bidens Vereidigung ist zweifelsohne positiv für Europa, doch ein Zurück zum Status quo ante ist auch unter seiner Ägide kaum realistisch zu erwarten.
Trump war kein Verkehrsunfall in Zeitlupe, bei dem man nach vier Jahren behaupten könnte, es sei gerade noch einmal gut gegangen, die Welt mit einem blauen Auge davongekommen und die Wunden würden alsbald verheilt sein. Dass er an die Macht gelangen und sich vier Jahre lang dort halten konnte, dass zig Millionen Amerikaner ihn trotz oder wegen seiner bisherigen Agenda erneut gewählt haben, sollte als Weckruf dienen, auch und gerade in Europa.
Es wird Zeit, das Brüssel lernt, auf eigenen Beinen zu stehen.