Arbeiten im Homeoffice: Pandemie beschleunigt Kulturwandel
Die Deutschen sind bekannt für ihre Pünktlichkeit. Das Laissez-Faire der Franzosen, das Dolce Vita der Italiener, die Siesta der Spanier, all das ist den Deutschen zuwider. Sie stehen selbst im Urlaub noch vor der Eröffnung des Frühstücksbuffets auf, um sich mit dem Handtuch ihre Liege zu sichern. Ordnung muss sein.
Soviel zum Klischee. Doch tatsächlich zeigt sich so manche typisch deutsche, leicht angestaubte Kultur, gerade in der Arbeitswelt. Ein klassisches Beispiel sind Präsenzkultur und Stechuhrmentalität. Wer sich blicken lässt, gilt als besonders fleißig. Respekt bekommt im Büro, wer als erster früh morgens oder als letzter spät abends am Schreibtisch sitzt. Dass dabei viel Zeit eher vertrödelt als effektiv gearbeitet wird, immer wieder Minuten für Kaffee-, Raucher- und Toilettenpausen draufgehen und die reine Anwesenheit noch keine Arbeit erledigt, ist in vielen Betrieben eher zweitrangig – bis jetzt.
Homeoffice: Häufig besser als sein Ruf
Denn mit der Corona-Pandemie sahen sich zahlreiche, eigentlich präsenzorientierte Unternehmen plötzlich veranlasst, ihre Belegschaft ins Homeoffice zu schicken. Das dürfte so manchem Chef ein mulmiges Gefühl bereitet haben, konnte er nun immerhin seinen Untergebenen nicht mehr physisch auf die Finger schauen.
Nach Monaten im Homeoffice lässt sich inzwischen festhalten: In vielen Fällen funktioniert das Modell besser als erwartet. Nicht wenige Arbeitnehmer arbeiten zuhause konzentrierter, fokussierter, teilen sich die Pausen stärker nach individuellem Bedarf ein als nach der Mittagspausenplanung der Kollegen und schaffen teilweise ein größeres Arbeitspensum in einem kürzeren Zeitfenster.
Selbstredend gibt es auch die Kehrseite der Medaille: Arbeitnehmer, die das Unbeobachtet-Sein nicht nur ausnutzen, indem sie in Jogginghose und Oberhemd vor der Videokonferenz sitzen, sondern tatsächlich weniger arbeiten, oder auch Kollegen, die zuhause von einer Horde kleiner Kinder umgeben sind und dadurch weniger konzentriert arbeiten können, als sie eigentlich gerne würden.
Ungeplanter Feldversuch mit weitreichenden Folgen
Doch unterm Strich lässt sich festhalten, dass die deutsche Wirtschaft jedenfalls nicht wegen des vermehrten Homeoffice unter die Räder geraten ist. Stattdessen dürfte das ungeplante Massen-Pilotprojekt viele zuvor skeptische Arbeitgeber überzeugt haben, auch künftig die nun etablierten Heimarbeitsstrukturen zu nutzen.
Dies käme in Deutschland einem tiefgreifenden Kulturwandel in der Arbeitswelt gleich – und würde vielen potenziell nutzen: dem Arbeitgeber, der motiviertere, weil freiere Mitarbeiter hat; dem Arbeitnehmer, der sich den Arbeitsweg spart; den Kindern, die zuhause nicht mehr so lang auf die Rückkehr der Eltern von der Arbeit warten müssen; der Umwelt, die weniger Berufspendler zu verkraften hätte.
Kulturwandel der Arbeitswelt beschleunigt?
Zwar würde vielen wohl etwas fehlen, wenn der persönliche Austausch mit Kolleginnen und Kollegen künftig komplett ausbliebe, aber Kombi-Modelle aus Präsenz- und Telearbeitszeit dürften sich nach der unfreiwilligen Testphase während der Pandemie besser als zuvor aushandeln lassen. Immerhin verfügen nun alle Beteiligten über aktuelle praktische Erfahrungswerte und können die Vor- und Nachteile der verschiedenen Arbeitsorte für sich, für ihre individuelle Produktivität oder auch für ihr Unternehmen realistischer einschätzen.
So viel schlechtes die Pandemie und die durch sie bedingten Beschränkungen mit sich gebracht haben, in diesem Punkt wirkte das Jahr 2020 wie ein Antrieb, der den sich bereits abzeichnenden Kulturwandel innerhalb der deutschen Arbeitswelt erheblich beschleunigen könnte.