Schock mit Ansage: Wirtschaftsinstitute senken Konjunkturprognose
Die Kämpfe in der Ukraine setzen der deutschen Wirtschaft heftig zu – auch ohne ein Embargo auf russische Rohstoffe wie Öl und Gas.
Gemeinschaftsgutachten der Wirtschaftsforscher liegt vor
Die fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute Deutschlands haben in dieser Woche ihr gemeinsames Frühjahrsgutachten vorgelegt. Die Konjunkturaussichten haben sich demnach deutlich eingetrübt.
Die Wirtschaftsforscher rechnen für das laufende Jahr mit einem Wachstum des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 2,7 Prozent. Eine konjunkturelle Erholung würde sich somit abermals verschieben: Für 2023 wird die Prognose in dem Gutachten von 1,9 auf 3,1 Prozentpunkte angehoben.
Alternativszenario warnt vor Rezession
Allerdings gelten diese Werte lediglich für das Basisszenario. Bei der Berechnung gehen die Wirtschaftsexperten davon aus, dass russisches Gas weiterhin durch die Pipelines nach Europa strömt und zudem keine zusätzlichen weitreichenden Wirtschaftssanktionen verhängt werden.
In einem Alternativszenario versuchten die Forscher abzuschätzen, wie sich ein sofortiger Stopp russischer Gaslieferungen auf die deutsche Wirtschaftsleistung auswirken würde. In diesem Fall beziffert das Gutachten die Wachstumsprognose für das laufende Jahr auf nur 1,9 Prozent – gefolgt von einer Rezession im kommenden Jahr. Für 2023 wäre in diesem Szenario mit einem Rückgang des BIP um 2,3 Prozent zu rechnen.
Inflation erreicht neue Höchststände
Auch für die weitere Entwicklung der Verbraucherpreise sind die Aussichten denkbar schlecht. Das Gutachten geht in diesem Jahr von einer Inflationsrate von 6,1 Prozent aus. Das wäre der höchste Wert seit 40 Jahren. Die Auswirkungen bekommen Erzeugerfirmen wie Privathaushalte schon jetzt deutlich zu spüren: Im Februar hatte die Inflationsrate in Deutschland bereits bei 5,1 Prozent gelegen, im März stieg sie abermals auf 7,3 Prozent und erreichte damit den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung.
Dieser Wert entspricht der Prognose im Gutachten im Lieferstopp-Szenario: Bei einer sofortigen Unterbrechung russischer Gasimporte rechnen die Experten mit einer Inflation von 7,3 Prozent im laufenden Jahr und 5,0 Prozent im nächsten Jahr.
Wachstumsprognosen stark eingetrübt
Noch im vergangenen Herbst hatten die Institute deutlich optimistischer in die Zukunft geblickt. Für 2022 war allgemein ein nach-pandemischer Aufschwung erwartet worden, die Wachstumsprognose im Gemeinschaftsgutachten lag damals bei 4,8 Prozent. Dass sich die Aussichten nun erheblich eingetrübt haben, liegt laut den Forschern in erster Linie am Krieg in der Ukraine und seinen direkten Folgen für die deutsche Wirtschaft, aber auch am ungünstigen Pandemieverlauf in den vergangenen Monaten.
So hatte die Ausbreitung der hochansteckenden Omikron-Variante des Coronavirus im Dezember noch einmal zu Verschärfungen der Maßnahmen in Deutschland geführt, die inzwischen größtenteils aufgehoben wurden. Belastend für deutsche Unternehmen wirkt sich aber nach wie vor die Coronapolitik anderer Länder aus. Allen voran China: Im Reich der Mitte werden regelmäßig strikte Lockdowns für ganze Metropolregionen verhängt, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Zuletzt wurde mit Shanghai eine der wirtschaftlich bedeutendsten Städte des Landes wochenlang abgeriegelt.
Dax-Anleger reagieren gelassen
All das stört die Lieferketten, sorgt für höhere Rohstoff-, Transport-, Erzeuger- und Verbraucherpreise und lässt die Unsicherheit steigen. Auch die Wirtschaftsforscher warnen vor Unwägbarkeiten, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche weitere Eskalation des Krieges in der Ukraine und den damit verbundenen geopolitischen Folgen.
Der Dax kämpfte nach Vorlage des Gutachtens am Mittwoch um die 14.000-Punkte-Marke, konnte diese aber am Ende des Tages verteidigen. Anleger hatten sich bereits hinlänglich auf die Konjunkturaussichten einstellen können. Immerhin hatten die beteiligten fünf Wirtschaftsinstitute – namentlich das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das Ifo-Institut, das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) sowie das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) – sowie weitere Wirtschaftsforscher bereits in den vergangenen Wochen ihre jeweils eigenen Prognosen vorgelegt und dabei bereits die deutlich eingetrübten Rahmenbedingungen unterstrichen.
Einzelgutachten hatten Richtung schon vorgegeben
Im März bewegten sich die Wachstumsprognosen für das laufende Jahr zwischen 2,0 Prozent (Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut) und 3,1 Prozent (Ifo-Institut, IWH). Dabei wird eine klare Verschlechterung gegenüber der Stimmung im vergangenen Herbst deutlich: Damalige Gutachten gingen mehrheitlich von Wachstumsraten weit über 4 Prozent aus, davon ist spätestens seit dem Beginn des Ukraine-Krieges jedoch nichts mehr zu spüren.
Tatsächlich sind selbst die aktuellen Prognosen der Institute noch optimistischer als das der sogenannten Wirtschaftsweisen. Der Sachverständigenrat, der die Bundesregierung in wirtschaftspolitischen Fragen berät, rechnet in diesem Jahr lediglich mit einem Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent. Für 2023 gehen die Sachverständigen von einem Anstieg des BIP um 3,6 Prozent aus.
Auch Wirtschaftsweise warnen vor Rezessionsrisiko
Einig ist man sich mit Blick auf die Inflationsdynamik: Hier rechnen die Wirtschaftsweisen ebenso wie die Forschungsinstitute mit einem Anstieg der Verbraucherpreise um 6,1 Prozent für das laufende Jahr. Auch mit Blick auf die Auswirkungen eines Lieferstopps von russischem Gas an Deutschland sind die Wirtschaftsweisen ähnlich pessimistisch wie das Gemeinschaftsgutachten der Wirtschaftsforscher: In diesem Fall droht der deutschen Wirtschaft ein Abgleiten in eine heftige Rezession.
Für die Unternehmen ist die geopolitische Entwicklung ein Albtraum: Anstatt sich nach zwei Jahren Pandemie von den diesbezüglichen Auswirkungen erholen zu können, geht es direkt weiter in die nächste Krise. Zudem ist auch der Risikofaktor Corona längst nicht vom Tisch: Trotz eines lockereren Umgangs mit dem Thema ist die Pandemie noch nicht vorbei. Sollte sich eine neue, gefährlichere Virusvariante ausbreiten, könnten auch neue Einschränkungen wieder aufs Tableau rücken.