Konjunkturerwartungen 2021: Pleitewelle voraus?
Das Pandemiejahr 2020 war hart für Wirtschaft und Gesellschaft. Seit dem Jahreswechsel stehen nun mehrere Impfstoffe zur Verfügung, die Impfkampagne läuft in Deutschland bislang eher schleppend. Trotz alarmierend hoher Fallzahlen und steigender Inzidenzen haben sich viele Bundesländer zuletzt entschlossen, Öffnungsschritte zu vollziehen. Die für eine Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 vereinbarte „Notbremse“ hingegen, womit bereits vollzogene Lockerungen wieder rückgängig gemacht werden sollen, haben mehrere Bundesländer bislang ignoriert, in Hamburg soll sie nun offenbar umgesetzt werden.
Dritte Pandemiewelle: Nervig für die Menschen, gefährlich für die Wirtschaft
Virologen warnen vor einer dritten Welle der Pandemie, die bereits in vollem Gange ist und durch die jüngsten Öffnungsschritte verstärkt und beschleunigt wird. Eine erneute Verschärfung und Verlängerung des Lockdowns bis weit in den April hinein erscheint demnach ziemlich realistisch. Anstelle einer kurzen, umfassenden Schließung im Sinne der von vielen Wissenschaftlern angemahnten „No Covid“-Strategie wird sich das zermürbende Hin und Her aus Lockerungen und Verschärfungen also wohl noch einige Wochen weiter hinziehen.
Das ist nicht nur nervig für die Menschen, es ist auch zunehmend gefährlich für die Wirtschaft. Gleich mehrere Konjunkturforscher haben ihre Prognosen für 2021 zuletzt wieder nach unten geschraubt. Eigentlich war man davon ausgegangen, dass mit 2020 das Schlimmste überstanden sei, es 2021 allmählich aufwärts gehe und ab 2022 eine deutliche Konjunkturerholung einsetzen werde. Nun hat sich der Ausblick allerdings merklich eingetrübt.
Wirtschaftsforscher senken Konjunkturprognosen
So hat der Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen seine Wachstumsprognose für 2021 von zuletzt 3,7 auf nun 3,1 Prozent abgesenkt. Die Bundesregierung erwartet sogar lediglich ein Plus von 3,0 Prozent, ebenso wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das seine Prognose von 3,8 auf 3,0 Prozent herabsetzte.
Noch deutlicher fällt die Absenkung beim Essener Wirtschaftsforschungsinstitut RWI aus. Noch im Dezember hatten die Experten ein Wachstum von 4,9 Prozent vorhergesagt, inzwischen gehen sie von lediglich 3,6 Prozent aus.
Einig sind sich die Ökonomen in ihrer Einschätzung, wonach vor allem die Industrie zum Wirtschaftswachstum beitragen dürfte. Sie war und ist von den Beschränkungen insgesamt am wenigsten betroffen, auch läuft der Außenhandel dank der globalen Konjunkturerholung allmählich wieder besser an. Risiken bestehen hier allenfalls, sollten Lieferketten unterbrochen werden – oder sollte sich die Regierung doch noch zu einem vollständigen Shutdown entschließen, wonach es bislang aber nicht aussieht.
Experten befürchten Insolvenzwelle
Ganz anders sieht die Lage in den stark von den Einschränkungen betroffenen Branchen aus: Dienstleister, Tourismusunternehmen, Gastronomie, Hotellerie, Einzelhandel – sie alle hatten und haben mit monatelangen Schließungen und Einnahmeausfällen zu kämpfen.
Etliche Unternehmen aus den genannten Wirtschaftszweigen sind nach zwölf Monaten Pandemie akut existenzgefährdet. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) warnt, dass mehr als 70 Prozent seiner Mitglieder in einer existenzbedrohenden Notlage steckt und rund ein Viertel unmittelbar vor einer Geschäftsaufgabe steht.
Diesen Eindruck bestätigt eine aktuelle Umfrage des Ifo-Instituts. Demnach sieht sich derzeit fast jeder fünfte Betrieb vor der Insolvenz – mit starker Branchenabhängigkeit. So fühlten sich in der Befragung vom Februar 34,5 Prozent der Einzelhändler und 26,3 Prozent der Dienstleistungsunternehmen akut gefährdet. Deutlich härter trifft es die Reisebranche, wo sich fast 84 Prozent der Firmen von einer Pleite bedroht sehen, aber auch Hotels (82,3 Prozent) sowie Restaurants und Gaststätten (72,3 Prozent) sind stark betroffen.
Demgegenüber zeigt sich die Industrie trotz Pandemie ziemlich robust, hier sehen sich weit über 90 Prozent nicht akut gefährdet. Gerade auf der Stärke von Industrie und Exporten beruht auch die vergleichsweise optimistische Einschätzung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), das seine Konjunkturprognose zuletzt sogar angehoben hat von 3,1 auf 3,7 Prozent für 2021.
Viele Unwägbarkeiten bis zur Erholung
Doch sämtliche Wachstumsphantasien sind aktuell noch reine Zukunftsmusik: Im ersten Quartal, das erneut vor allem durch Beschränkungen gekennzeichnet war, dürfte sich die Konjunktur erneut merklich eintrüben. Mit einer Erholung rechnen die meisten Ökonomen erst ab der zweiten Jahreshälfte, sofern denn die Impfkampagne im Sommer substanziell an Tempo zulegt – und es für die vielen Betriebe, die sich schon jetzt in existenzieller Not sehen, dann noch nicht zu spät ist.
Dass es sie überhaupt noch gibt, wird in erster Linie den großzügigen Wirtschaftshilfen und dem zumindest zeitweise aufgeweichten Insolvenzrecht zugeschrieben, das im vergangenen Jahr viele Firmenpleiten verhindern konnte. Für 2021 aber rechnen nicht wenige Beobachter mit einer immensen Pleitewelle, die sich bis ins kommende Jahr hinein erstrecken könnte.
Die Rechnung kommt – und sie wird teuer
Trotz fortschreitender Impfungen und möglicherweise schrittweiser Normalisierung der Lage im Spätsommer – die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie werden wohl erst zeitverzögert voll zuschlagen und sich neben hoher Staatsverschuldung in steigender Arbeitslosigkeit und rückläufigen Steuereinnahmen niederschlagen.
Auf den künftigen Bundesfinanzminister kommen also höhere Ausgaben bei geringeren Einnahmen zu. Für den Steuerzahler wird die teure Rechnung folgen – und zwar nach 2021.