Ifo-Institut überrascht mit Konjunkturprognose
Ungewöhnliche Umstände führen zu ungewöhnlichen Maßnahmen: Normalerweise legt sich das Münchener Ifo-Institut fest, wenn es eine Wachstumsprognose veröffentlicht. Doch der Krieg in der Ukraine verändert alles.
Ifo-Institut senkt Wachstumsprognose deutlich
Waren die Wirtschaftsforscher im Dezember noch von einem Anstieg des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Höhe von 3,7 Prozent für das Gesamtjahr 2022 ausgegangen, wurde die Prognose in einem neuen Gutachten deutlich nach unten korrigiert – und weitaus weniger präzisiert. Stattdessen gibt das Ifo-Institut nun einen Korridor von 2,2 bis 3,1 Prozent Wachstum aus, eine recht weit gefasste Spanne, und verweist dabei auf die Unwägbarkeiten, die der Krieg in der Ukraine auch für die deutsche Wirtschaft mit sich bringt.
Ausgebremst wird die Konjunkturerholung dabei insbesondere von steigenden Energiekosten und zusätzlichen Lieferengpässen. Während das Ifo-Institut beim Wachstum weniger erwartet, wurde eine andere Zahl in der aktuellen Schätzung deutlich nach oben korrigiert: die Inflationsrate. Im Dezember hatten die Wirtschaftsforscher diesen Wert noch mit 3,3 Prozent angegeben. Inzwischen gehen die Münchener von einer Teuerungsrate zwischen 5,1 und 6,1 Prozent im laufenden Jahr aus. Auch in diesem Zusammenhang spielen Energiepreise und Lieferkettenprobleme eine wesentliche Rolle.
Wirtschaftsforscher berücksichtigen zwei Szenarien – doch der Worst Case ist nicht dabei
Die breit gefassten Spannen in den Prognosen basieren im Wesentlichen auf zwei gegensätzlichen Szenarien, die die Wirtschaftsforscher durchgerechnet haben. In einem Basisszenario, das sie derzeit für wahrscheinlicher halten, ist der Höhepunkt etwa bei den Energiekosten bereits überwunden und es setzt eine allmähliche Entspannung ein. Im Alternativszenario spitzt sich die Lage weiter zu, mit einer Entspannung wäre dann erst ab der zweiten Jahreshälfte zu rechnen. In letzterem Falle würden dementsprechend die schwächere Wachstumsprognose und die höhere Inflationsrate als wahrscheinlicher gelten.
Nicht einkalkuliert ist hingegen das Szenario eines Energieembargos, bei dem Gas- und Kohlelieferungen aus Russland vollständig ausbleiben. Einen solchen Schritt könnte sowohl die europäische als auch die russische Seite verhängen. Weil aber Europas Versorgungssicherheit und Russlands Wirtschaft stark vom wechselseitigen Energiehandel abhängig sind, scheuen sich beide Seiten bislang vor diesem Schritt – ausgeschlossen aber ist er keinesfalls.
Auch andere Wirtschaftsforscher senken den Daumen
Sollte es dazu kommen, warnt das Ifo-Institut vor einem Abrutschen in die Rezession. Auch eine Stagflation – also stagnierende Konjunktur bei steigender Inflation – wäre dann möglich. Mit ihrer eingetrübten Prognose sind die Münchener nicht allein. Bereits in der vergangenen Woche hatten auch andere führende Wirtschaftsforschungsinstitute ihren Jahresausblick zurechtgestutzt.
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) halbierte seine Wachstumsprognose für Deutschland nahezu von 4 auf nur noch 2,1 Prozent im laufenden Jahr. Das Essener RWI rechnet mit einem Anstieg des BIP um 2,5 Prozent. Das IWH zeigt sich vergleichsweise optimistisch und traut der deutschen Wirtschaft ein Wachstum von 3,1 Prozent zu. Die Schätzungen zur Inflationsentwicklung liegen bei den genannten Instituten im Bereich zwischen 4,8 und 5,8 Prozent und damit nur geringfügig unter der neuen Prognose des Ifo-Instituts.
Einig sind sich die Wirtschaftsforscher jedoch, dass der eigentlich für dieses Jahr erwartete Aufschwung der Wirtschaft nach der Schwäche der Pandemie erneut verschoben wird – und die Inflationsrate den höchsten Wert seit mehreren Jahrzehnten erreichen dürfte.