Handelskonflikt, Pandemie, Ukraine-Krieg: Vorboten einer Deglobalisierung?
Die vergangenen drei Jahrzehnte waren stark geprägt von einer politisch angestrebten wirtschaftlichen Globalisierung. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und mit dem allmählichen Aufstieg Chinas zur bedeutenden Volkswirtschaft wurden Handelsbeziehungen rund um den Globus geknüpft und immer enger verflochten.
Handelsverflechtungen als Friedensgarant – seit Ende Februar Makulatur
Die Idee dahinter: Starke wechselseitige ökonomische Abhängigkeiten verringern die Gefahr eines militärischen Konflikts, da dieser die eigene Volkswirtschaft beschädigen könnte. Zudem profitierten gerade Länder mit starkem Außenhandel erheblich von der zunehmenden Verflechtung: Neue Absatzmärkte wurden erschlossen, Produktionskapazitäten in günstigere Regionen verlagert, Innovationen und Know-how wurden grenzübergreifend verfügbarer.
Mit Putins Einmarsch in die Ukraine scheint dieses System endgültig zu zerfallen. Russlands Machthaber stellt geopolitisches Expansionsstreben über wirtschaftlichen Aufschwung, Großmachtsphantasien aus der Prä-Weltkriegs-Ära scheinen neuerdings die handlungsleitende Maxime im Kreml zu sein.
Globalisierung steht schon seit Trump auf der Probe
Umso dringlicher sucht man nun nach Wegen heraus aus der Abhängigkeit, die zuvor bewusst gewollt war. Dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ausgerechnet arabische Golfstaaten um Hilfe ersucht, um Deutschlands Energieversorgung sicherzustellen, zeigt die fatalen Auswirkungen einer jahrelang zu einseitig gehaltenen Energiepolitik, die ganz auf Russland als verlässlichen Lieferanten gesetzt hat.
Doch die Eskalation in der Ukraine ist bei näherer Betrachtung nur eine weitere, nicht aber die einzige Zäsur, die das System der Globalisierung in den vergangenen Jahren erfahren hat. Bereits der monatelange Handelskonflikt zwischen den USA und China, vorangetrieben durch den damaligen US-Präsidenten Donald Trump, hat die weltweiten Wirtschaftsgeflechte auf eine harte Probe gestellt.
Pandemie bringt Lieferketten an neue Grenzen
Weiter zugespitzt wurde das Ganze vor zwei Jahren durch den Ausbruch der Pandemie: Damals wurden bewusst Grenzen geschlossen, der internationale Personenverkehr kam weitgehend zum Erliegen und Lieferketten gerieten an ihre Belastungsgrenzen. Wie unter einem Brennglas zeigten sich damals besonders deutlich die grenzübergreifenden wirtschaftlichen Abhängigkeiten nahezu aller international agierenden Unternehmen.
Selbst innerhalb der Europäischen Union gerieten der Personen- und Warenverkehr so stark ins Stocken wie nie seit Inkrafttreten des Schengen-Abkommens: Der europäische Binnenmarkt lernte neue Grenzen kennen.
Es wird nie wieder wie vor 2020
Viele Unternehmen haben aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre gelernt – und Konsequenzen gezogen. Die Produktion wichtiger Komponenten wurde beispielsweise oftmals in nähergelegene Regionen verlagert – Teile, die innerhalb Europas verschickt werden, werden verlässlicher ankommen als solche, die erst den halben Globus überqueren müssen. Kürzere Lieferketten sind hier essenziell.
Sicher scheint schon jetzt: Es wird nie wieder so werden, wie es vor 2020 war. Die Pandemie stürzte die Welt über Nacht in eine neue wirtschaftspolitische Realität, auf die es sich nun einzurichten gilt. Denn die Pandemie ist noch nicht vorbei – wie unter anderem mehrere Lockdowns in China immer wieder belegen – und eine weitere Pandemie nur eine Frage der Zeit, da sind sich Gesundheitsexperten einig.
Der Westen rückt näher zusammen
Putins Krieg kommt nun als weiterer Faktor hinzu. Er dürfte dazu beitragen, die internationalen Handelsbeziehungen grundlegend neu zu ordnen – auch die Rolle, die China dabei einnehmen wird, könnte entscheidend dazu beitragen, wie sich die Weltwirtschaft in Zukunft entwickelt.
Deutlich wird, knapp zwei Monate nach Beginn des russischen Einmarschs, dass eine auf wirtschaftliche Verflechtungen aufgebaute Friedenspolitik zwischen Ost und West gescheitert ist. Der Westen – in Form von EU und Nordamerika, Nato und ihren Verbündeten – rückt näher zusammen, hier könnten neue Kooperationen entstehen, etwa im Transfer von Rohstoffen zur Energiegewinnung. Schon jetzt haben die USA zugesagt, Europa in der Energiekrise unter die Arme greifen zu wollen. Das ist nur ein Beispiel, viele weitere dürften künftig noch folgen.
Re-Organisation der Globalisierung – wo steht China?
Eine Deglobalisierung im Sinne vollständiger Entflechtung der internationalen Handelsbeziehungen ist daher auch nach den Erfahrungen aus der jüngeren Vergangenheit nicht zu erwarten – eine grundlegende Neuordnung allerdings schon. So dürfte sich der Handel in andere Regionen als bislang verlagern, die Beziehungen mit einigen Partnern – vor allem im Westen – dürften daraus gestärkt hervorgehen, während vor allem der russische Markt für europäische Firmen an Bedeutung verlieren dürfte.
Die Rolle Chinas im geopolitischen Handelsgeflecht der Zukunft ist unterdessen bislang schwer absehbar, wird aber wohl mit entscheidend dafür sein, welche Länder künftig wie stark vom dortigen Wachstumsmarkt profitieren.