EZB wegen erneuter Nullrunde zunehmend in der Kritik

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Mit einiger Spannung hatten Anleger am vergangenen Donnerstag die Positionierung der Europäischen Zentralbank (EZB) erwartet – doch die bot am Nachmittag wenig Überraschendes.

EZB wiederholt bekanntes Mantra: Kurzfristig keine Zinswende in Sicht

Einmal mehr zeigte sich die Notenbank zurückhaltend und abwartend. Erneut wurde betont, das seit der Finanzkrise bestehende Anleihekaufprogramm im dritten Quartal auslaufen zu lassen. Erst danach ist mit einer Leitzinsanhebung zu rechnen, so das ständige Mantra aus Frankfurt.

Doch die Kritik an diesem Kurs wird immer lauter. Zahlreiche Ökonomen pochen darauf, dass das wichtigste Mandat der Notenbank darin bestehe, Preisstabilität zu garantieren. Das bedeutet im Klartext: Eine Inflationsrate von etwa 2 Prozent.

Kapitulieren die Währungshüter vor der Inflationsdynamik?

Zuletzt aber stieg die Inflation im Euroraum auf ein Rekordhoch von 7,5 Prozent. In Deutschland lag die Teuerungsrate mit 7,3 Prozent nur leicht darunter, in den baltischen Staaten stiegen die Verbraucherpreise demgegenüber um rund 15 Prozent.

Statt nun beherzt einzugreifen, versucht die EZB weiterhin, die Inflationsdynamik als temporäres Problem zu behandeln. Im vergangenen Herbst war diese Einschätzung durchaus verbreitet, doch inzwischen – mehrere Monate und mehrere Inflationsprozentpunkte weiter – stehen Europas Währungshüter mit dieser Meinung ziemlich allein da.

Gefährlich gemächliche „Reise der schrittweisen Normalisierung“

Experten warnen seit Wochen, dass das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale stetig zunimmt, erste Tendenzen sind zumindest in einigen Staaten innerhalb der Währungsunion bereits erkennbar. Eine solche Dynamik wäre nur schwer zu durchbrechen, das hat die historische Erfahrung hinlänglich gezeigt.

Nun aber begibt sich die EZB bei ihrer „Reise der schrittweisen Normalisierung“ ihrer Geldpolitik, wie es EZB-Chefin Christine Lagarde formulierte, auf einen gefährlichen Weg. Während andere Notenbanken die Risiken erkannt haben und vom Trabant in den Porsche umsteigen in Sachen Tempo der Zinsanhebungen, scheint sich die EZB bei ihrer „Reise“ nach wie vor auf einer gemütlichen Radtour zu befinden.

Abwägung zwischen Inflation und Konjunktur führt zu Stillstand

Zur Begründung ihrer Zurückhaltung verweisen die europäischen Zentralbanker weiterhin auf die konjunkturellen Risiken, die sich derzeit durch Unsicherheiten wie das Kriegsgeschehen in der Ukraine für europäische Unternehmen ergeben. Man will die Wirtschaft nicht zusätzlich belasten und womöglich überfordern, so die Lesart der Währungshüter.

Weil aber die Inflationsentwicklung eine straffere, Konjunkturrisiken eine eher expansive Geldpolitik als Reaktion der Notenbank erfordern, tut diese erst einmal – gar nichts. Der Leitzins bleibt weiterhin unangetastet bei 0 Prozent. Man will sich alle Optionen offenhalten, um flexibel auf die Entwicklungen reagieren zu können, so die wiederholte Ansage aus Frankfurt.

Doch für ein entschiedenes Handeln könnte es schon bald zu spät sein. Schon jetzt steigen neben der Inflationsrate auch die Inflationserwartungen im Hinblick darauf, dass die EZB nun erklärtermaßen vor Juli nicht eingreifen wird, da ja zunächst im dritten Quartal die Anleihekäufe beendet werden sollen.

Gerüchte um Lagarde-Wechsel nach Paris: Nach ihr die Sintflut?

Tatsächlich ist aber selbst Juli noch sehr optimistisch: Eine erste Zinsanhebung könnte auch erst weit später im Jahresverlauf erfolgen. EZB-Chefin Lagarde ist dafür dann womöglich schon gar nicht mehr zuständig. Gerüchten zufolge könnte die Finanzexpertin nach der Präsidentschaftswahl in Frankreich wieder nach Paris wechseln. Zumindest dementiert hat sie das auf Nachfrage zuletzt nicht.

Angesichts einer EZB, die der galoppierenden Inflation so rat- und tatenlos gegenübersteht wie das Kaninchen vor der Schlange, wäre ein Wechsel an der Spitze vielleicht nicht die schlechteste Option aus Sicht der Verbraucher im Euroraum.