Angst vor Inflation – berechtigt oder nicht?

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Das Gespenst der Inflation geistert über das Parkett in Frankfurt, New York und anderswo – doch wie begründet sind die Sorgen der Anleger wirklich?

Kurzfristiger Inflationsanstieg unumstritten

Zunächst einmal: Ja, die Inflationskurve steigt. Die 2 Prozent, die von den Notenbanken gern als angestrebtes Ziel ausgewiesen wird, wird derzeit nicht selten überschritten. Mit Blick auf Deutschland dürfte die Inflationsrate vor allem in der zweiten Jahreshälfte noch einmal stärker ausfallen – hier schlägt sich die vorübergehende Absenkung der Mehrwertsteuer im Vorjahr von 19 auf 16 Prozent nieder, die nun im Verhältnis zum jeweiligen Vorjahresmonat für eine erhebliche Teuerungsrate sorgen wird. Inflationsraten von 4 oder 5 Prozent im kommenden Halbjahr sind für Deutschland nicht unwahrscheinlich.

Es gibt dementsprechend durchaus Beobachter, die die diesjährigen Teuerungsraten für einen vorübergehenden, pandemiebedingten Sondereffekt halten und mit einer Normalisierung ab dem kommenden Jahr rechnen. Dafür spricht einiges.

Dagegen spricht allerdings, dass die Inflation nicht nur in Deutschland und Europa, sondern auch beispielsweise in den USA zuletzt kräftig angezogen hat – und das ohne entsprechende Steuereffekte im Vorjahresvergleich.

Ölpreis könnte Inflationsgeschehen entscheidend beeinflussen

Hinzu kommt ein weiterer Faktor, der – je nach Prognose – für erhebliche Teuerungsraten sprechen würde: der Ölpreis. Der hat nach monatelang ungebrochenem Aufwärtstrend zuletzt die Schwelle von 75 Dollar je Barrel der Sorte Brent übersprungen und somit ein Zweijahreshoch markiert. Rohstoffexperten rechnen mit einem weiteren Anstieg auf 80 Dollar noch in diesem Sommer und perspektivisch 100 Dollar je Barrel, womöglich sogar schon im kommenden Jahr.

Öl ist bekanntlich überall zu finden: Im Benzin fürs Auto, im Kerosin fürs Flugzeug, im Heizöl für die Wohnung, aber auch weiterverarbeitet in etlichen Produkten, unter anderem in der Pharma- und Kunststoffproduktion. Dementsprechend hohen Einfluss hat die Entwicklung des Ölpreises auf die Verbraucherpreise. Kosten für Energie schlagen hier stets besonders kräftig zu Buche, neben Ausgaben für Lebensmittel und Konsumgüter.

Prognosen unter Vorbehalt

Schon ein Ölpreis von 100 Dollar je Barrel, wie ihn derzeit zahlreiche Experten voraussagen, würde die bisherigen Inflationsprognosen über den Haufen werfen. Es wäre dann mit deutlich höheren Teuerungsraten in den kommenden Jahren zu rechnen. Ein Extremszenario der Branchenbeobachter von JP Morgan sagt sogar einen Anstieg des Ölpreises auf 190 Dollar je Barrel bis 2025 voraus – ein solcher Superzyklus hätte massive Auswirkungen auf das Inflationsgeschehen und würde sicherlich zu geld-, finanz- und wirtschaftspolitischen Gegenbewegungen führen.

Allerdings stehen die Prognosen zur Ölpreisentwicklung, zur Wirtschaftserholung wie auch zum Inflationsgeschehen dieser Tage stets unter einem erheblichen Vorbehalt: Je nach weiterem Verlauf der Pandemie können sie in sich zusammenfallen wie Kartenhäuser. Sollte es trotz fortschreitender Impfkampagne zu erneuten Massenausbrüchen, gefährlichen Virusmutationen und damit verbundenen einschränkenden Maßnahmen kommen, würden die Karten neu gemischt und alle Zahlen neu berechnet.

Die Frage danach, ob die Furcht vor dem Inflationsgespenst bei den Investoren berechtigt ist, lässt sich daher aus heutiger Sicht lediglich mit „vielleicht“ beantworten.