Nordirland-Abkommen: EU wirft London Vertragsbruch vor

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Das ging schnell: Nicht einmal dreieinhalb Monate nach dem vollständigen Vollzug des Brexits landet die nächste Streitigkeit vor Gericht.

Nordirischer Sonderweg

Es geht, wieder einmal, um das Nordirland-Protokoll, also die Sonderregelungen hinsichtlich des Warenverkehrs auf der irischen Insel. Der nördliche Teil gehört nach wie vor zum Vereinigten Königreich und damit nicht mehr zur Europäischen Union. Um jedoch eine harte Grenze an Land zu vermeiden, die ein Aufflammen des langjährigen bewaffneten Konflikts zwischen Irland und Nordirland riskieren würde, hatten sich die Unterhändler in Brüssel und London auf einen Sonderweg geeinigt.

Demnach bleibt Nordirland, anders als der Rest von Großbritannien, Teil des EU-Binnenmarktes. Einfuhrkontrollen sind daher nicht auf der irischen Insel selbst, sondern im Seetransfer zwischen Irland und der größeren britischen Insel verortet.

Übergangsfrist ohne Rücksprache verlängert

Auf einen Brexit-Vertrag einigten sich beide Seiten erst an Heiligabend und somit wenige Tage vor dem finalen Austritt Großbritanniens, der mit dem Jahreswechsel vollzogen wurde. Um den Übergang für Wirtschaft und Bevölkerung nicht ganz so drastisch zu gestalten, einigte man sich auf eine Übergangsfrist, innerhalb derer bestimmte Wareneinfuhren noch keinen strengen Kontrollen unterliegen sollten.

Diese Frist endet zum 1. April – so zumindest hatte man sich verständigt. Nun aber hat die Regierung in London angekündigt, die Frist um ein halbes Jahr bis Oktober zu verlängern, und zwar ohne dies zuvor mit der EU abzustimmen. Das Vorgehen stößt dementsprechend auf wenig Gegenliebe in Brüssel, wo man sich für flexible Fristverlängerungen in der Vergangenheit grundsätzlich stets offen zeigte. Eine einseitige Ausweitung von Übergangsfristen ohne vorherige Konsultationen wertet man auf Seiten der EU jedoch als Affront – und als Verletzung internationalen Rechts, weswegen das Ganze nun offiziell als Vertragsverletzungsverfahren geführt wird.

Schmerzhafter Scheidungskrieg

Dabei werden verschiedene, speziell für den Brexit geschaffene Gremien involviert, zunächst ein gemeinsamer Ausschuss, der bei der Beilegung von Streitigkeiten im Umsetzungsprozess des Brexit-Abkommens vermitteln soll. Kommt es dort zu keiner Einigung, kann die EU die Einsetzung eines Schiedsgremiums verlangen. Darüber hinaus steht der Weg einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof offen.

In Brüssel zeigte man sich ob der jüngsten Entwicklungen irritiert bis empört, in London hingegen demonstrierte Premierminister Boris Johnson Gelassenheit. Da die Verlängerung zeitlich befristet sei und man im Geiste des Nordirland-Protokolls entschieden habe, um unnötige Härten für Wirtschaft und Bevölkerung zu vermeiden, ist man sich offenbar keiner Schuld bewusst.

Das einseitige Vorgehen passt jedoch zu Johnsons Auftreten gegenüber der Europäischen Union insgesamt, das seit Beginn des Brexit-Wahlkampfs 2016 darauf ausgelegt ist, die Unabhängigkeit des Vereinigten Königreichs in den Vordergrund zu stellen. Wenn das allerdings bedeutet, dass sich London an die von ihm selbst ausgehandelten und mitgetragenen Verträge nicht gebunden fühlt und die britische Regierung ohne Rücksprachen Beschlüsse in die Welt setzt, dürfte es nicht der letzte Konflikt bleiben, der nach dem Brexit für Furore sorgt und möglicherweise vor Gericht eskaliert.