Brexit-Folgen: Hohe Visahürden sorgen für Fachkräftemangel
Mehr als 1,3 Millionen freie Stellen gibt es derzeit in Großbritannien. Die Regierung um Premierminister Boris Johnson stellt das als großen Erfolg dar, als Beweis der wirtschaftlichen Stärke seines Landes. Aber stimmt das?
Kleine Firmen können höhere Löhne nicht zahlen
Tatsächlich gaben in einer aktuellen Studie des britischen Handelskammerverbands BCC fast vier Fünftel aller befragten Unternehmen an, dass sie Schwierigkeiten haben, offene Stellen zu besetzen.
Vor allem kleinere Firmen haben demnach nicht genügend finanzielle Polster, um die höheren Lohnforderungen zu bedienen, die sich unter anderem aus der Inflation ergeben. Hinzu kommt die starke Verhandlungsposition der begehrten Fachkräfte auf dem leergefegten Arbeitsmarkt. Sie können höhere Löhne durchsetzen – wenn ein Unternehmen sich das nicht leisten kann, bleiben die Stellen unbesetzt.
Nach dem Brexit: Gewollt hohe Hürden für Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis
Ein weiterer Faktor, der die Rekrutierung geeigneter Fachkräfte erschwert, ist politisch gewollt und eine direkte Folge des EU-Austritts, den Großbritannien 2016 nach einem entsprechenden Referendum beschlossen und vor etwas mehr als einem Jahr final vollzogen hat.
Ein nationalistisch-protektionistischer Ansatz war ein Kernanliegen der Brexit-Befürworter, eine Abschottung gegen die als zu lasch empfundene Migrationspolitik der EU. Tatsächlich sind die Grenzen für Arbeitskräfte aus dem Ausland kaum noch zu überwinden, die Hürden für die Erteilung von Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sind inzwischen deutlich höher als in der Vergangenheit.
Müssen Briten jetzt selbst den Lkw steuern?
Besonders deutlich zu spüren bekommen das Unternehmen, die in der Logistikbranche, im Bauwesen oder im Gastgewerbe tätig sind. Briten selbst waren eher selten hinterm Steuer im Lkw oder als Arbeiter auf der Baustelle anzutreffen, hier kamen oftmals ausländische Arbeitskräfte zum Einsatz. Viele von ihnen haben wegen des Brexits oder wegen der Pandemie das Land verlassen. Die bürokratischen Hürden hindern sie nun daran, zurückzukehren.
Unternehmen fordern die Regierung zum Handeln auf, etwa durch einen erleichterten Zugang zu Arbeitsvisa. Bislang aber scheinen Johnson und sein Kabinett wenig gewillt, hier einzugreifen – waren doch gerade strengere Zuwanderungsregeln eines ihrer stets propagierten Kernanliegen. Die Konsequenzen dieser Politik bekommt die britische Wirtschaft nun mit voller Wucht zu spüren.
7 Prozent Inflation: BoE reagiert mit Zinsanhebungen
Fehlendes Personal, steigende Lohnkosten und die Inflation belasten die Unternehmen nun zusätzlich zu den sonstigen Folgen von Pandemie und Brexit. Durch die weltweit anziehenden Preise für Energie und Rohstoffe steigen die Betriebskosten zusätzlich.
Wie auch im Rest Europas erreichte die Inflationsrate in Großbritannien zuletzt einen Wert von 7 Prozent. Anders als die Europäische Zentralbank aber hat die Bank of England frühzeitig mit Zinsanhebungen auf die Dynamik reagiert. Bereits im Dezember beschlossen die britischen Währungshüter einen ersten Zinsschritt, mehrere weitere folgten seither im Februar und im März. Damit vollzog die Notenbank eine Abkehr der bisherigen Nullzinspolitik, der Leitzins im Königreich liegt inzwischen wieder bei 0,75 Prozent – Tendenz: weiter steigend.
EZB weiterhin zögerlich
In der Währungsunion – der Großbritannien im Gegensatz zur EU nie angehört hat – zeigte sich die EZB zuletzt zögerlich in Sachen Zinswende und geriet deswegen immer stärker in die Kritik. Die Gewährleistung einer Preisstabilität bei Inflationsraten um 2 Prozent sind die wesentliche Aufgabe der Währungshüter, auf steigende Verbraucherpreise sollten sie nach Logik der Ökonomen mit Zinsanhebungen reagieren.
Weil aber auch Europas Wirtschaft wegen Pandemie und Ukraine-Krieg unter Druck steht und man eine mögliche zaghafte Konjunkturerholung nicht abwürgen will, scheut man sich bei der EZB bislang vor einem allzu beherzten Eingreifen.
Fed: Nächster Zinsschritt noch in dieser Woche?
Anders in den USA: Die dortige Notenbank Fed hat einen ersten Zinsschritt bereits beschlossen, ein weiterer könnte schon in dieser Woche folgen. Beobachter erwarten nach der ersten Anhebung um 0,25 Prozentpunkte nun sogar einen Zinsschritt um 0,5 Prozent.
Die US-Währungshüter um Fed-Chef Jerome Powell haben bereits in Aussicht gestellt, in diesem Jahr noch mehrfach an der Zinsschraube drehen zu wollen, um der galoppierenden Inflation entgegenzuwirken. Diese lag in den USA zuletzt bei mehr als 8 Prozent.