Liegt die Inflation in Wahrheit noch viel höher?
Bereits 2016 hatte der damalige EZB-Chef Mario Draghi uns auf eine lange Niedrig- beziehungsweise Nullzinsphase eingestellt. Hätten Sie gedacht, dass diese nach sechs Jahren immer noch währt?
In diesem Jahr wird das Wort „Zinswende“ zumindest wieder in den Mund genommen. Christine Lagarde hatte als Draghis Nachfolgerin seinen Kurs beibehalten, gerät jetzt jedoch wegen der hohen Inflation zunehmend unter Druck. Selbst in den eigenen EZB-Reihen werden vermehrt Forderungen laut, die geldpolitischen Zügel anzuziehen, sprich die Zinsen zu erhöhen.
EZB-Direktorin Isabel Schnabel hatte erst kürzlich Kritik am zögerlichen Verhalten der Notenbank geübt. Laut tagesschau.de hatte Schnabel in einem Interview mit der „Financial Times“ darauf hingewiesen, dass der Immobilienboom ein Risiko darstelle und dass bei der Bewertung der Inflation auch die steigenden Preise für Wohneigentum berücksichtigt werden müssten.
Einbeziehung der Immobilienpreise gefordert
Damit hatte die deutsche Ökonomin ihren Finger in eine Wunde gelegt, denn bereits im Sommer hatten sich die Notenbanker während einer Klausurtagung darauf verständigt, steigende Wohnimmobilienpreise stärker zu berücksichtigen. Seitdem ist jedoch nichts passiert.
Es ist immer noch so, dass Mieter und Hausbesitzer in den Teuerungs-Statistiken ungleich berücksichtigt werden. Während die Mieten bei der Berechnung der Inflationsrate mit einfließen, bleiben die Preise für selbstgenutzte Wohnimmobilien außen vor. Laut tagesschau.de fordern Experten, wie Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, schon länger, dass steigende Immobilienpreise in der Eurozone in die Berechnung der Inflationsrate mit einfließen sollten. In den USA ist dies bereits eine Selbstverständlichkeit.
Würden in der Eurozone diese Kosten mit einbezogen, würde die Inflationsrate sprunghaft ansteigen. Das gilt vor allem für die Kerninflation, also die Teuerung ohne die stark schwankenden Preise für Lebensmittel und Energie. Laut tagesschau.de hat die EZB inzwischen eingeräumt, dass im zweiten und dritten Quartal die Inflationsrate 0,4 bis 0,6 Prozentpunkte höher gelegen hätte – und das obwohl bereits Höchststände seit der Wiedervereinigung erzielt worden waren.
Blick auf die Vermögenspreisinflation macht Angst
Dass die Verbraucherpreise die tatsächliche Inflation unterschätzen, zeigt die aktuelle Vermögenspreisinflation. Wenn Sie die Preise für Häuser, Aktien, Gold und Betriebsteile als alternatives Inflationsmaß betrachten, fällt auf, dass diese Preise wesentlich stärker gestiegen sind als die Verbraucherpreise. Hier lag die Inflation bei 3,1 Prozent, während eine Analyse des Flossbach von Storch Research Institute für die Vermögenspreisinflation einen Wert von 9,2 Prozent ermittelte.
Für den starken Anstieg sorgte vor allem die Preisrally am Immobilienmarkt, die sich stetig fortsetzt. Laut tagesschau.de sind im zweiten Pandemiejahr die Preise für das Immobilienvermögen in Besitz privater deutscher Haushalte um 10,0 Prozent angestiegen. Besonders deutlich zogen die Preise für Wohnimmobilien an, welche sich 2021 im Schnitt um 10,5 Prozent verteuert haben.
Neben EZB-Direktorin Isabel Schnabel sind auch andere Experten in Sorge, dass die Zinswende zu spät kommen könne. Helmut Schleweis, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes spricht beispielsweise deutliche Worte: „Es wird erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen haben, wenn die EZB nicht oder zu spät reagiert.“ Die Eurozone drohe, in eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale zu schlittern.