Kurs-Gewinn-Verhältnis als Vergleichskriterium von Aktienunternehmen
Berechnung des KGV auf Basis künftiger Gewinnerwartungen
Jeder kennt sie, jeder nutzt sie: die Kennzahl des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV). Sie zeigt die Ertragskraft eines börsennotierten Unternehmens im Vergleich zu anderen.
Das KGV spielt bei der Aktienbewertung eine zentrale Rolle. Jeder, der in Aktien investiert, lernt diese Kennzahl als erstes kennen. Mit ihr lässt sich ein Aktienvergleich durchführen, ohne dass man sich durch viele Geschäftsberichte und Analysen durchwälzen muss. Zudem findet man in einer großen Masse schnell börsennotierte Unternehmen, deren KGV eine weitergehende Analyse nahelegt.
Die Kennzahl repräsentiert das Verhältnis zwischen dem aktuellen Aktienkurs und dem Jahresgewinn pro Aktie. Je mehr der Aktienkurs im Vergleich zum Unternehmensgewinn steigt, umso höher ist auch das Kurs-Gewinn-Verhältnis. Im umgekehrten Fall sinkt das KGV. Der Begriff KGV heißt auf Englisch Price-Earnings-Ratio (PER oder P/E-Ratio).
Das KGV zeigt:
- wie oft der Gewinn pro Aktie bzw. welche Gewinnsteigerung im Aktienkurs enthalten ist. Hintergrund: Der Aktienkurs nimmt die Gewinnentwicklung vorweg.
- die Zahl der Jahre, bis der Aktionär seine Anfangsinvestition über die Gewinne zurückerhält. Anders ausgedrückt: mit wieviel Jahresgewinnen der aktuelle Kurswert verdient ist.
Das KGV berechnet sich auf zwei Arten – auf den erstem Blick:
- KGV = aktueller Aktienkurs/Gewinn pro Aktie
- KGV = Marktkapitalisierung/Gewinn
Der aktuelle Aktienkurs befindet sich auf den Webseiten der jeweiligen Börsen oder Finanzportale. Der Gewinn pro Aktie errechnet sich, indem man den Jahresgewinn durch die Aktienanzahl teilt. Der Jahresgewinn (Gewinn nach Steuern) steht im Jahresabschluss, die Aktienanzahl auf der Webseite des Unternehmens. Die Marktkapitalisierung ist die Zahl der Aktien multipliziert mit dem aktuellen Aktienkurs.
In Wirklichkeit basiert aber die Berechnung des KGV auf dem künftigen anstatt dem Gewinn pro Aktie aus dem Jahresabschluss. Hintergrund: Der Jahresabschluss wird nur einmal pro Jahr aufgestellt und veröffentlicht. Erfolgt die Berechnung des KGV nicht unmittelbar danach, sondern erst später, so ist der zur Berechnung herangezogene Gewinn nicht mehr aktuell. Zudem ist er schon in den Aktienkurs eingeflossen. Die Anleger wollen aber von den zukünftigen Gewinnen und Dividenden profitieren.
Der künftige Gewinn wird von Analysten der Banken oder spezieller Researchhäuser geschätzt. Die Gewinnschätzungen der Analysten gelten immer für das laufende Geschäftsjahr. Sie beobachten das Unternehmen täglich. Sie erstellen Studien, in denen sie die künftigen Gewinne anhand von Ad-hoc-Nachrichten, Quartals-, Halbjahres- und Jahresberichte des Unternehmens schätzen und eine Kauf-, Halten- oder Verkaufsempfehlung aussprechen.
Zudem fließen das konjunkturelle Umfeld, Fusionen, Übernahmen oder Ausgliederungen von Geschäftsbereichen in deren Gewinnschätzungen ein. Auch berücksichtigen sie beispielsweise die Gründe, weshalb ein Unternehmen geringere Gewinne verbucht. Positiv ist, wenn es zu Lasten des Gewinns in die Produktentwicklung investiert und so eine bessere Zukunftsperspektive aufbaut.
Die Analysten passen ihre Studien ggfs. öfter im Jahr an – insbesondere nach neuen Quartals- und Halbjahresberichten und wenn der Aktienkurs steigt oder sinkt.
Die Analysten schätzen die Gewinne aufgrund von Einmal- oder Sondereffekten bereinigten Zahlen für mehrere Jahre im Voraus, um einen sinnvollen Vergleich der künftigen Gewinne mit denen aus früheren Berichtszeiträumen zu ermöglichen. Startpunkt des Vergleichs sind die Gewinne aus dem Vorjahr. Finanzdatenlieferanten wie Reuters oder Bloomberg sammeln die Analystenschätzungen. Sie ermitteln daraus im Wege einer Durchschnittsrechnung die sog. Konsens-Schätzungen.
Der volle Wortlaut der Studien steht nur institutionellen Investoren und großen Kunden der Banken und Researchhäuser offen. Viele Finanzportale veröffentlichen wenigstens die Empfehlungen, Kursziele und die Konsens-Schätzungen, die sie für die Berechnung des aktuellen KGV nutzen.
Die Schwachpunkte des KGV
Obwohl die Berechnung des KGV so einfach ist, so birgt diese Kennzahl durch einige Schwachpunkte:
- Die Gewinnschätzungen der Analysten sind in bestimmten Marktphasen unbrauchbar.
- An konjunkturellen Wendepunkten passen sich die Analystenschätzungen zeitlich nur verzögert an. Signalisieren zum Beispiel die Frühindikatoren eine konjunkturelle Abschwächung, so preisen die Börsianer die verschlechterten Gewinnaussichten gleich ein. Die Kurse fallen. Die Analysten benötigen für die Berücksichtigung der Frühindikatoren in ihren Schätzungen doch eine gewisse Zeit.
- Das KGV lässt sich überhaupt nicht anwenden, wenn ein junges Unternehmen bislang nur Verluste macht oder ein etabliertes zwischendurch ein oder mehrere Verlustjahre hinnehmen muss.
- Die Spielräume bei der Gewinnermittlung sind hoch. Zum Beispiel kann das Unternehmen mit der Bildung bzw. der Auflösung stiller Reserven sowie durch die Gewährung großzügiger Zahlungsziele Gewinne bis zum gewissen Grad manipulieren.
- Für das KGV zählt der Gewinn pro Aktie abzüglich Sondereffekte, Steuern, konzernfremde Gewinnanteile und Zinsen. Aber oft lässt sich in den Quartals- und Halbjahresberichten nicht erkennen, von welchem Gewinn die Rede ist – ob von einem Brutto-Gewinn, EBIT, Gewinn vor Steuern und Zinsen, EBT Ergebnis vor Steuern, EAT Gewinn nach Steuern und EBITDA Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen.
- Auf den Webseiten der Finanzportale lässt sich meistens nicht feststellen, auf welchem Gewinn und Aktienkurs die Ermittlung des KGV beruht.
- Das aktuelle Leitzinsniveau beeinflusst die Gewinne der Aktiengesellschaften. Senkt die Notenbank die Zinsen, so verringern sich die Finanzierungkosten der Unternehmen. Die Gewinne und das KGV steigen. Im umgekehrten Fall sinken sie.
Die Interpretation
Das KGV kennzeichnet Anteilsscheine mit Kursteigerungspotenzial. Es ist umso höher, je günstiger die Aktie ist und je besser die Gewinnperspektiven des Unternehmens sind. Daher soll das KGV darauf hinweisen, ob ein Anteilsschein teuer oder billig ist, weil der Wert hoch oder tief ist.
Nach gängiger Interpretation ist eine Aktie mit einem hohen KGV teuer und eine mit einem niedrigen günstig. Je niedriger es ausfällt, umso billiger erscheint der Anteilswert.
Die Interpretation gestaltet sich in Wirklichkeit jedoch komplexer. Ein niedriges KGV kann zwar auf eine Unterbewertung und ein etwaiges Kurspotenzial hinweisen. Ein hohes kann eine Überbewertung signalisieren. Doch kommt es für die umfassende Beurteilung entscheidend auf die Gründe an.
Ein zweistelliges KGV kann gerechtfertigt sein, wenn:
- das Unternehmen ein hohes Gewinnwachstum verzeichnet
- das Unternehmen aufgrund der hohen Zukunftschancen zu den Wachstumswerten gehört
- es die Gewinne weiterhin steigern kann
Die niedrige Bewertung ist meistens gerechtfertigt, wenn:
- das Wachstum nachlässt
- das Unternehmen geringe Ressourcen hat wie beispielweise im Rohstoffbereich
- sich die wirtschaftlichen Perspektiven der Branche verschlechtern
- die Gewinndynamik des Unternehmens im Vergleich zur Vergangenheit nachlässt
- Klagen die künftigen Gewinnperspektiven belasten
- die Umsätze sinken
- die Kapitalrendite im Vergleich zu den Mitwettbewerbern schlechter ausfällt.
- die Ergebnisse stark schwanken
Das niedrige KGV kann in folgenden Fällen ein Kaufargument sein, wenn:
- die Wachstums- und Gewinnperspektiven der Branche gut sind
- keine Klagerisiken bestehen
- die Bewertung des betreffenden Unternehmens unter dem Branchendurchschnitt liegt
- das Unternehmen trotz geringem Gewinnwachstums einen soliden laufenden Ertrag erzielt
- ein neues Produkt auf dem Markt kommen soll
- es einen Wechsel im Management gibt.
Die richtige Anwendung
Das KGV liefert wegen seiner Schwächen nur einen Anfangseindruck von einer Aktie. Daher sollte man sich nicht nur auf dessen Basis für eine Aktie entscheiden, sondern für eine umfassende Analyse weitere Kennzahlen wie das KUV (Kurs-Umsatz-Verhältnis), KUB (Kurs-Buchwert-Verhältnis oder das KCV (Kurs-Cash Flow-Verhältnis) nutzen.
Schließlich fließen die Unternehmensführung und die wirtschaftlichen Aussichten des Unternehmens in die Kursentwicklung mit ein. Bei Unternehmen, die Verlustjahre haben, zählt das KCV (Kurs-Cash Flow-Verhältnis) in besonderem Maße. Am besten zieht man zur KGV-Ermittlung den Gewinn nach Steuern heran.
Die Aktualität der Gewinnschätzung entscheidet über die Brauchbarkeit des KGV. Je frischer die Gewinnschätzungen, umso besser. Meistens haben die Gewinnprognosen für große Indexwerte eine ordentliche Qualität. Bei kleinen Unternehmen kann sich eine Aktie mit einem niedrigen KGV als lahme Ente entpuppen.
Die Marktphasen entscheiden, inwieweit Anleger hohe KGVs bezahlen wollen. Die Bewertung kann je nach Ländern, Jahren und Branchen stark schwanken. Daher lässt sich nicht generell sagen, ab welchem KGV eine Aktie niedrig oder hoch bewertet ist.
Mischkonzerne werden meistens niedriger bewertet als Unternehmen, die sich auf eine Branche fokussieren. Unternehmen mit einstelligen Wachstumsraten genießen an der Börse meistens nur eine niedrige Bewertung. Schnell wachsende Technologie- oder Internetunternehmen erfreuen sich oft einer hohen Bewertung.
Bei Wachstumsaktien mit einem hohen KGV sollte man darauf achten, ob die Marktverfassung an der Börse bereits überhitzt ist. Es empfiehlt sich nicht, das KGV von Aktien unterschiedlicher Branchen zu vergleichen, sonst vergleicht man nur Äpfel mit Birnen. Zudem können sich die KGVs je nach Branche stark unterscheiden.
Bessere Hinweise liefert der Vergleich der KGVs von Aktien aus der gleichen Branche. Branchenspezifische Faktoren beeinflussen, inwieweit die Börsianer bereit sind, höhere KGV für bestimmte Aktien hinzunehmen. Am besten errechnet man ein durchschnittliches KGV für den Sektor. Die Aktie ist überbewertet, wenn dessen KGV über den Branchendurchschnitt liegt. Im umgekehrten Fall liegt eine Unterbewertung vor.
Weitere Anhaltspunkte liefert der Vergleich der KGVs eines bestimmten Sektors mit dem des Gesamtmarkts.
Schließlich lohnt auch der Vergleich des KGVs eines Papiers mit dessen historischen KGV, um das faire Preisniveau herauszufinden. Dazu errechnet man nach der Theorie der Mean Reversion den Durchschnitt des KGV über mehrere Jahre. Lag das KGV des DAX bei etwa 15, so markierte es in der Phase des Internetbooms die 30. In 2003 und 2009, als die Aktien am Boden lagen, betrug es gerade mal 8.
Eine weitere Analysemöglichkeit bietet das 10-Jahres-KGV nach dem US-Nobelpreisträger Robert J. Shiller. Es beruht auf dem inflationsbereinigten mittleren Gewinn der vergangenen zehn Jahre beruht und eignet sich besonders gut zur Erkennung von Spekulationsblasen. Schließlich eliminiert das 10-Jahres-KGV zeitweilige Gewinnschwankungen und vergleicht den aktuellen Kurs mit langfristigen Gewinntrends.