Steuerprogression in Deutschland: Ist unser Steuersystem gerecht?
- Das System der Steuerprogression
- Wodurch unterscheidet sich Ihr persönlicher Steuersatz vom Grenzsteuersatz?
- Wie sich Ihr Grenzsteuersatz berechnet
- Und Kapitaleinkünfte?
- Ist das System der Steuerprogression überhaupt gerecht?
- Nicht nur die Steuern belasten die Mittelschicht
- Vor allem eines ist notwendig: Eine Vereinfachung des Steuersystems
- 96.000 Vorschriften beinhaltet unser Steuersystem
Beim Steuersatz handelt es sich um einen Durchschnittswert. Das liegt daran, dass das Einkommen in Deutschland je nach Betrag unterschiedlich belastet wird.
Die Spanne möglicher Steuersätze liegt dabei zwischen dem Eingangssteuersatz von 14 % für den ersten Euro ab dem Grundfreibetrag und dem Spitzensteuersatz von 42 %.
Zusätzlich gibt es die Reichensteuer, die ab einem Einkommen von 250.000 Euro fällig wird und bei 45 % liegt. Dazu kommt der Solidaritätszuschlag von 5,5 % der Einkommensteuer.
Überschreiten Ihre Einnahmen eine bestimmte Höhe, greift die nächste Steuerstufe, sodass nicht Ihr gesamtes Einkommen mit dem jeweiligen Steuersatz besteuert wird, sondern nur der in die jeweilige Einkommensstufe fallende Teil, also nur zu versteuerndes Einkommen. Durch den Progressionsvorbehalt erhöhen somit sogar steuerfreie Einkünfte die Steuerlast.
Der persönliche Steuersatz ist letztlich der Durchschnitt aller Belastungen. Der Grundtabelle können Sie die für Ihr Einkommen fällige Einkommenssteuer entnehmen. Für gemeinsam veranlagte Ehepartner sind die Angaben in der Splittingtabelle maßgeblich.
Das System der Steuerprogression
In Deutschland wird bei der Ermittlung Ihrer individuellen Einkommensteuerbelastung versucht, das Gerechtigkeits- oder Leistungsfähigkeitsprinzip zu verwenden. Das heißt: Nach Maßgabe seiner individuellen ökonomischen Leistungsfähigkeit soll jeder einzelne Steuerbürger zur Finanzierung staatlicher Leistungen beitragen. Dies hat zwei Ziele:
- Horizontale Gerechtigkeit: Gleiche Einnahmen sollen auch zu derselben Steuerbelastung führen.
- Vertikale Gerechtigkeit: Je höher die relative Leistungsfähigkeit ist, desto höher fällt die Steuerlast aus.
Um dies zu erreichen, verwendet man in Deutschland bei der Ermittlung der Einkommenssteuer eine lineare Steuerprogression. Damit ist gemeint, dass mit steigenden Einnahmen auch Ihr Steuersatz steigt.
Das Ansteigen des Steuersatzes ist vom Eingangssteuersatz von 14 % bis zum Spitzensteuersatz von 42 % jedoch konstant. Auch der Grenzsteuersatz steigt beim System der linearen Progression linear an.
Wodurch unterscheidet sich Ihr persönlicher Steuersatz vom Grenzsteuersatz?
Bei Ihrem persönlichen Steuersatz handelt es sich um Ihren durchschnittlich auf Ihre gesamten Einnahmen zu entrichtenden Steuersatz. Der Grenzsteuersatz gibt dagegen an, mit welchem Satz der letzte Euro Ihres persönlichen Einkommens für Sie zu versteuern ist.
Dabei gilt für Sie: Je höher Ihre Einkünfte sind, desto höher ist Ihr Grenzsteuersatz. Das ist das Prinzip der Steuerprogression. Die höchste Stufe ist der Spitzensteuersatz inklusive Reichensteuer ab einem zu versteuernden Einkommen von 250.000,- Euro jährlich.
Wie sich Ihr Grenzsteuersatz berechnet
Ein Beispiel: Angenommen, Ihr Bruttoeinkommen als Single beträgt 30.000 Euro jährlich. Bei der Abgabe Ihrer Steuererklärung machen Sie 1.000 Euro Werbungskosten geltend. In der Grundtabelle für 2014 werden hierfür 5.245 Euro Einkommenssteuer fällig. Ihr persönlicher Durchschnittssteuersatz beträgt demnach 17,48 % Ihrer Einkünfte.
Wenn sich Ihre Einnahmen nun um weitere 1.000 Euro erhöhen und Sie 31.000 Euro verdienen, werden nach Abzug der Werbungskosten 5.558 Euro Einkommensteuer fällig. Ihr Durchschnittssteuersatz liegt nun bei 17,93 %. Der Grenzsteuersatz für die zusätzlich 1.000 Euro liegt jedoch bei 31,3 % (313 Euro von 1.000 Euro).
Hier erkennen Sie auch, wofür der Grenzsteuersatz wichtig ist: Er hilft Ihnen herauszufinden, wie hoch die Steuerlast bei einer Gehaltssteigerung wäre.
Bruttoeinkommen | 30.000 Euro | 31.000 Euro |
Werbungskosten | 1.000 Euro | 1000 Euro |
Einkommenssteuer | 5.245 Euro | 5.558 Euro |
Durchschnittssteuersatz | 17,48 % | 17,93 % |
Grenzsteuersatz für die zusätzlichen 1000 Euro: 31,2% |
Und Kapitaleinkünfte?
Kapitalerträge haben keinen Einfluss auf den Grenzsteuersatz. Sie werden mit der Abgeltungssteuer besteuert. Hierbei handelt es sich um einen pauschalen Steuertarif in Höhe von 25 % plus Solidaritätszuschlag plus Kirchensteuer.
Der Vorteil hierbei ist, dass der Steuerzahler Kapitalerträge nicht zu seinem üblichen Jahreseinkommen hinzurechnen müssen. Theoretisch können Sie also unendlich hohe Einnahmen aus Kapitalerträgen haben, ohne dass sich Ihr Steuersatz dadurch ändert und die Steuerprogression weiter beeinflusst.
Ist das System der Steuerprogression überhaupt gerecht?
Theoretisch erscheint diese Steuerprogression gerecht. Je mehr Mittel Sie zur Verfügung haben, desto höher ist die Steuerbelastung durch die Einkommensteuer. Doch alles ist relativ. Wie sieht es also in anderen Ländern aus?
Vergleicht man die Spitzensteuersätze in verschiedenen Ländern, dann kommt man auf folgende Ergebnisse:
Land | Spitzensteuersatz |
USA | 47,8 % |
Deutschland | 47,48 % |
Österreich | 50 % |
Großbritannien | 50 % |
Irland | 47 % |
Italien | 44,15 % |
Finnland | 49,1 % |
Dänemark | 59 % |
Norwegen | 40 % |
Schweiz | 39,97 % |
Zypern | 30 % |
Rumänien | 16 % |
Tschechien | 15 % |
Auf den ersten Blick mögen diese Zahlen interessant sein, allerdings geben sie ohne weitere Zusammenhänge noch keinen Aufschluss über die Steuergerechtigkeit in den verschiedenen Ländern. Denn wichtig ist vor allem, bei welchem Einkommen welche Besteuerung greift.
Beispiel USA: Wir wissen, dass der Spitzensteuersatz von 47,8 % ab einem Einkommen von 400.000 USD greift. Bei uns wird die Reichensteuer in Höhe von rund 45 % hingegen bereits für zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 250.400 Euro fällig.
Allerdings zahlt man in Deutschland schon ab einem Jahreseinkommen von 52.882 Euro den Spitzensteuersatz in Höhe von 42 %, der nur geringfügig unter dem Reichensteuersatz liegt.
Die Bemessungsgrundlage ist in den USA und in Deutschland also völlig unterschiedlich und die Steuerprogression beginnt hierzulande besonders früh und ist besonders stark. In den USA wird ein vergleichbares Einkommen mit einem Grenzsteuersatz von 25 % zuzüglich zum Einkommenssteuersatz des Bundesstaates besteuert.
Auch mit diesem Steuertarif und trotz Steuerprogression bleibt die Belastung für die US-amerikanische Mittelschicht deutlich unter jener der deutschen Mittelschicht.
Wirklich enorm ist der geplante Spitzensteuersatz in Höhe von 75 %, den Frankreichs sozialistischer Präsident Hollande gerne seinen Reichsten aufbürden möchte. Daher kann man den Neu-Russen Gérard Depardieu (tatsächlich wurde ihm von Putin höchstpersönlich die russische Staatsbürgerschaft verliehen) verstehen.
Er flüchtet im Übrigen nicht nach Dubai oder Singapur, sondern schlichtweg zu einem Spitzensteuersatz von 50 % plus Gemeindesteuer nach Belgien. Wenn Depardieu mit rund 53 % Steuersatz zufrieden leben kann, dann dürften eigentlich auch Will Smith und Britney Spears mit 47,6 % zurechtkommen. Doch spielen nicht nur die Steuern allein eine Rolle.
Nicht nur die Steuern belasten die Mittelschicht
Natürlich sagen Steuersätze alleine noch nichts über die gesamte Belastung aus. Auch in den USA kommen noch weitere Abgaben – zum Beispiel für Medicare – hinzu und erhöhen die Gesamtbelastung.
Eine hohe Abgabenbelastung kennen wir in Deutschland sehr gut. Und nicht nur wir: Betrachtet man die gesamten Abgabenquoten, bilden die USA das absolute Schlusslicht unter den größten OECD-Volkswirtschaften. Selbst in der Schweiz und in Luxemburg sind die Abgabenquoten höher.
Vor allem eines ist notwendig: Eine Vereinfachung des Steuersystems
Interessant sind in diesem Zusammenhang die Positionen von Paul Kirchhof zur Vereinfachung des Steuersystems. Zunächst: Die geplante “Flat Tax” von 25 %, die ganz ohne Steuerprogression auskommt, soll an dieser Stelle nicht verteidigt werden.
Denn eine Steuerprogression scheint durchaus gerechter. Aber: Dieser Punkt ist nicht entscheidend. Ausschlaggebend ist, dass Kirchhof so radikal wie sonst niemand das Steuersystem vereinfachen möchte.
Und wenn ihm vorgeworfen wird, das sei “nicht finanzierbar”, dann ist das ein unzutreffender Vorwurf. Denn erstens gibt es entsprechende volkswirtschaftliche Berechnungen, und zweitens lässt sich solch eine Steuervereinfachung auf jeden Fall aufkommensneutral durchführen.
96.000 Vorschriften beinhaltet unser Steuersystem
Dass eine Vereinfachung des Steuerrechts notwendig ist und an sich bereits Geld einsparen würde, erscheint angesichts der Fülle an Vorschriften klar. Der Spiegel schreibt dazu:
“118 Steuergesetze gibt es mittlerweile, verteilt auf Tausenden eng bedruckten DIN-A5-Seiten. Die Finanzämter haben 185 Vordrucke zur Verfügung, mit denen sie Auskunft über Einkommen, Besitz und Gewinne der Steuerpflichtigen verlangen. Eventuelle Unklarheiten werden in weiteren 96.000 Vorschriften geregelt.”
Diese Zahlen sind immens. Die Mitarbeiter der Steuerverwaltung wären die Ersten, die eine Vereinfachung begrüßen würden – schließlich sind sie diejenigen, die die zahlreichen Vorschriften und die Steuerprogression anwenden müssen. Allein aus diesem Grund sollte man Männern wie Kirchhof den Rücken stärken.
Übrigens: Kirchhof ist kein kalter Analyst, der abgehoben im Elfenbeinturm der Wissenschaft sitzt. Er macht sich Gedanken über die Verteilungswirkung und über soziale Gerechtigkeit. Leider geht dies in der Diskussion unter – zum Beispiel, wenn ihm vorgeworfen wird, dass sein Konzept “die Reichen entlaste”, da der Spitzensteuersatz deutlich sinkt. Doch die Berechnung der Verteilungswirkung ergibt, dass dies nicht der Fall ist.
Im Gegenteil: “Die Reichen” würden tendenziell sogar stärker belastet, da der Spitzensteuersatz mit Kirchhof zwar deutlich sinken würde, die Besserverdiener diesen aber auch wirklich zahlen müssten. Es gäbe in diesem Fall keine Ausnahmetatbestände mehr, mit denen man sich “arm rechnen” könnte und gleiches Einkommen führte dann zu gleicher Steuerlast.
Im Endeffekt fließt mit diesen niedrigeren Steuersätzen, die aber tatsächlich bezahlt werden müssen, mehr Geld in die Kassen als mit rein nominell höheren Steuersätzen, die aber völlig durchlöchert sind und überhaupt nicht effektiv bezahlt werden.