Faktencheck: Aktienmärkte und der Terror
Immer noch gelten die Anschläge des 11. September als die schlimmsten und folgenreichsten Terrorangriffe, die jemals in einem westlichen Land verübt worden sind. Insgesamt verloren an diesem Tag 3.000 Menschen ihr Leben.
Dennoch haben diese Terrorangriffe das westliche Wirtschaftssystem und den Kapitalmarkt mittelfristig nicht erschüttern können. So legten die europäischen Börsen in der Folge rasch wieder zu. Der DAX etwa kletterte nach dem 11. September bis Jahresende um knapp 1.000 Punkte (ca. 21 %). Tatsächlich notierte er am 31. Dezember 2001 sogar deutlich teurer als vor dem 11. September.
Terror kommt nach Europa
Nur wenige Jahre später erreichte der islamistische Terror auch Europa. So explodierten im März 2004 zehn Bomben in Madrider Vorortzügen. Hier starben 191 Menschen, über 2.000 wurden verletzt. Im Juli des folgenden Jahres zündeten Terroristen aus dem arabischen Raum im morgendlichen Nahverkehr in London mehrere Sprengsätze.
Auch hier war die Bilanz mit 56 Toten und 700 Verletzten verheerend. Die jüngsten Anschläge in Frankreich (Charlie Hebdo und Terrorserie rund um den Konzertsaal Bataclan) fügen sich nahtlos in diesen Kontext ein. Auch diese Terrorakte blieben ohne Auswirkung auf das Börsengeschehen.
Terror zunächst eine politische Herausforderung
Bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch. Es geht nicht darum, den Terror der letzten Jahre in irgendeiner Weise zu relativieren. Ganz im Gegenteil: Wir alle wissen, dass sich die Sicherheitslage auch in Deutschland in den vergangenen Monaten spürbar verschlechtert hat.
Es ist bekannt, dass der „Islamische Staat” auch hierzulande Attentäter und Unterstützer rekrutiert. Der islamistische Terror wird zweifellos auch im kommenden Jahr für unsere Regierungen eine große politische Herausforderung sein.
Für uns als Börsianer habe ich gleichwohl die Kunde, dass sich die Terrorangriffe seit 2001 zu keiner Zeit wesentlich auf die Konjunktur ausgewirkt haben. Auch die Börsen haben Verluste nach Terrorangriffen immer binnen weniger Tage ausgeglichen.
Diese Frage liegt daher nahe: Wie reagiert die Börse, wenn Terroristen ihre Maßnahmen zeitlich eng takten und auf ein einziges Zielland begrenzen? Ein fiktives Beispiel: Zuerst geht eine Bombe in Berlin hoch, im nächsten Monat dann in Köln, bevor München an der Reihe ist. Steckt die deutsche Konjunktur bzw. der DAX auch eine derart intensive Terrorserie weg?
1977: RAF greift junge Bundesrepublik frontal an
Auch für ein solches Schreckensszenario liegen tragischerweise belastbare historische Daten vor: 1977 attackierte die RAF (Rote Armee Fraktion) massiv die Institutionen der relativ jungen Bundesrepublik Deutschland. Zunächst erschoss man im April dieses Jahres den Generalbundesstaatsanwalt Siegfried Buback. Ende Juli drangen RAF-Terroristen in das Privathaus des Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, ein. Als er sich seiner Entführung widersetzte, wurde er ebenfalls erschossen.
Im September 1977 entführten Mitglieder der RAF den deutschen Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer. Mit dieser Entführung sollte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt in die Knie gezwungen werden, der sich der geforderten Freilassung von 11 inhaftierten RAF-Terroristen standhaft widersetzte.
Im Oktober eskalierte die Situation erneut: Palästinenser entführten die Lufthansa-Maschine „Landshut”, die sich auf dem Flug von Palma de Mallorca nach Frankfurt befand. Die Entführer, die mit der RAF eng verbunden waren, wollten auf diese Weise den Forderungen ihrer deutschen Kollegen Nachdruck verleihen.
Nachdem die Geiseln der „Landshut” durch deutsche Spezialkräfte (GSG 9) wenige Tage später befreit wurden, wurde der oberste deutsche Wirtschaftsführer Hanns-Martin Schleyer regelrecht hingerichtet.
Aktienmarkt bleibt unbeeindruckt
Der RAF-Terrorismus der 70er-Jahre hat die Bundesrepublik seinerzeit in eine tiefe innenpolitische Krise gestürzt. Die Terroristen zielten mit ihren Maßnahmen unmittelbar auf die politische und wirtschaftliche Führung des Landes. Zwar erreichte der RAF-Terror gemessen an der Anzahl der Opfer nicht die Dimensionen des islamistischen Terrors. Er bezog sein enormes Gefahrenpotenzial vielmehr aus der gezielten Auswahl seiner ranghohen Opfer.
Deutsche Aktien reagierten dennoch zu keinem Zeitpunkt nachhaltig auf die staatsgefährdende Terrorserie. Stattdessen gewannen deutsche Dividendentitel 1977 im Schnitt etwas über 5 % hinzu. Insgesamt befand sich der Markt nach einem explosiven Anstieg der Ölpreise (Ölschock) und anziehender Inflation zu dieser Zeit in schlechter Verfassung.
Im Vorjahr waren deutsche Dividendentitel daher rund 12 % eingebrochen. Das Börsenjahr 1977 brachte dann eine ganz gewöhnliche technisch bedingte Erholung. Es mag sein, dass die grausamen Ereignisse diese Kursbewegung etwas gebremst haben – mehr allerdings auch nicht!
Fazit: Terror entwickelt keine Börsenrelevanz
Meine umfangreichen Recherchen haben nun zweifelsfrei ergeben: Terrorismus ist bei all seinem unbestrittenen Gefahrenpotenzial kein Faktor, der geeignet ist, die Entwicklung des Aktienmarktes negativ zu beeinflussen. Zumindest für uns als Börsianer ist das eine beruhigende Erkenntnis!