Börse: Charts und Kaffeesatz – erstaunliche Ähnlichkeiten
In die Zukunft zu schauen, ist offensichtlich gerade zum Jahreswechsel ein ernstes Bedürfnis. Darauf deuten zumindest die sprunghaft ansteigenden Verkäufe für Sets zum Bleigießen hin. Vermutlich kann man so einen Blick in die Zukunft werfen, ohne gleich als Esoteriker zu gelten…
Wer es dagegen nicht mehr bis zum nächsten Jahreswechsel aushält, der findet das ganze Jahr über auch andere mannigfaltige Angebote, wie zum Beispiel Kartenlegen oder Kaffeesatz lesen.
Aber Vorsicht, bevor Sie müde lächeln: Haben unsere Charts und Ratios nicht auch teilweise etwas von Kaffeesatzlesen? Manche schon, möchte man bei dem folgenden Beispiel meinen.
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Die Gold-Öl-Ratio: Suche Dir die Interpretation, die Dir gefällt!
Das Verhältnis von Gold zu Öl ist so eine Ratio, die offenbar viele Interpretationen zulässt (fast wie ein Kaffeesatz, möchte man meinen). Fakt ist, dass das die Gold-Öl-Ratio so hoch wie schon lange nicht mehr ist. Im historischen Durchschnitt kauft 1 Unze Gold 15 Barrel Öl. Aktuell kauft 1 Unze 21 Barrel und es waren sogar schon 24 Barrel. So sehr, wie das ein statistischer Fakt ist, gehen aber anschließend die Interpretationen auseinander.
Ein weit respektierter Rohstoff-Analyst aus Frankreich sieht in den Extremen der Gold-Öl-Ratio vor allem ein Signal: Der Ölpreis hat seinen Boden gefunden und muss wieder umkehren.
Die Forbes-Redaktion titelt dagegen: „Die Gold-Öl-Ratio zeigt: Eine Krise ist unausweichlich”. Den Grund dafür haben die Redakteure in der Vergangenheit gefunden: „Jedes Mal, wenn eine Unze Gold mehr als 20 Barrel Öl kauft, gab es im Anschluss eine Krise.” Dass Gold zu teuer ist glauben sie aber nicht, denn „jedes Mal, wenn Öl um mindestens 50% korrigierte, stieg der Goldpreis im Jahr darauf um 25%.”
Damit könnte ich prima leben, wenngleich sich mir der Zusammenhang noch nicht ganz erschließt…
Auch Reuters schlägt die gleiche Richtung ein und fragt ob die Gold-Öl-Ratio ein „Zeichen für Probleme” sei. Bevor der Reuters-Redakteur aber gemeinsam mit Forbes durchs Finish galoppiert, wechselt er gedanklich noch einmal die Richtung. Angesichts des Angebotsüberschusses im Ölmarkt sei ein niedriger Ölpreis vielleicht eine logische Folge und kein Warnsignal.
Das Interesse an Gold wird dagegen durch die Euro-Krise weiter hochgehalten. Insofern sei kurzfristig vielleicht gar kein Rückgang auf das historische Maß zu erwarten.
Merke: Nicht alle Ratios scheinen gleich sinnvoll
Aus ein und demselben Chart haben drei Redakteure also drei verschiedene Interpretationen abgeleitet. Das erinnert mich doch, um wieder zum Anfang zurückzukommen, ans Bleigießen zu Sylvester. Dort sieht auch jeder Teilnehmer das, was er will bzw. sich im neuen Jahr wünscht.
Was aber bedeutet dies für solche Verhältniszahlen wie die Gold-Oil-Ratio? Offensichtlich sind nicht alle Verhältniszahlen gleich sinnvoll. Dies wiederum macht deutlich, dass nicht alle Zahlen zu ihren historischen Durchschnitten zurückkehren müssen. Entweder, weil es gar kein begründetes Verhältnis gibt oder weil sich die Umstände einfach geändert haben.
Ich habe Anfang des Jahres geschrieben, dass Öl im Januar seinen Boden finden wird. Danach sieht es derzeit aus. Aber sicherlich wird Öl nicht mehr so schnell auf alte Höhen steigen.
Außerdem wird aller Voraussicht nach die Nachfrage nach Gold weiterhin stabil bleiben, was einen sinkenden Goldpreis unwahrscheinlich macht. Alleine wie Gold sich in den letzten Wochen und Monaten in einem starken Dollar-Umfeld bewährt hat, ist bemerkenswert. Insofern ist es nicht ausgeschlossen, dass die Gold-Öl-Ratio noch längere Zeit auf einem historischen Extrem bestehen bleibt.
Schauen Sie daher nicht nur auf Ratios, sondern benutzen Sie in erster Linie Ihren gesunden Menschenverstand.
Herzliche Grüße
André Doerk, Chefredakteur Rohstoff Investor