Zinssenkungen: Was Sie als Börsianer dazu wissen sollten

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Nachdem vergangene Woche die Europäische Zentralbank die Leitzinsen zum zweiten Mal moderat um 25 Basispunkte auf 3,5 Prozent gesenkt hat, folgte gestern ein großer Paukenschlag in den Vereinigten Staaten: Die US-Notenbank beschloss eine Senkung um üppige 50 Basispunkte. Fast einstimmig fiel dieser Beschluss. Damit liegt der Zielkorridor für den Leitzins dort jetzt bei 4,75 bis 5,00 Prozent.

Was bedeutet diese Information für Sie als Börsianer? Welche Überlegungen stecken hinter solchen Zinssenkungen? Und wie wirkt sich das auf den Aktienmarkt aus? Diese Fragen will ich heute für Sie hier im Schlussgong klären.

Was die Zentralbanken bewegt

Die Zentralbanken dies- und jenseits des Atlantiks verfolgen mit ihrer Geldpolitik zwei wesentliche Ziele:

  • Erstens: Sie müssen die Inflation eindämmen, also die schleichende Entwertung der Währung, für deren Stabilität sie verantwortlich sind. Wenn, wie in den vergangenen beiden Jahren, die Preise kräftig steigen, hilft oft nur eine Anhebung des Leitzinses. Warum? Weil das Geld nicht mehr so locker sitzt, wenn es teurer wird, sich welches zu leihen. Und weil so mancher Sparer sein Geld lieber wieder auf ein Tages- oder Festgeldkonto packt, wenn er dafür üppige Zinsen bekommt.
  • Zweitens: Sie müssen dafür sorgen, dass die Wirtschaft läuft (die US-Notenbank soll zum Beispiel für einen stabilen Arbeitsmarkt sorgen). Dafür allerdings ist eine genau entgegengesetzte Geldpolitik nötig. Das Geld sollte günstig sein, und das ist es nur bei niedrigen Zinsen. Dann ist eine Kreditaufnahme billig. Unternehmen investieren mehr, und auch die Verbraucher leisten sich so manchen Kauf gerne auf Pump. Die erhöhte Nachfrage kurbelt die Wirtschaft an.

Warum reagieren die Aktienmärkte so stark auf Zinsänderungen?

Sie haben es heute Morgen gesehen: Der deutsche Aktienindex DAX notierte über anderthalb Prozent im Plus – und das liegt an der gestern bekannt gegebenen, überraschend deutlichen Zinssenkung der Fed. Erwarten die Börsianer jetzt eine so schnelle Erholung der Wirtschaft, dass sie jetzt plötzlich wieder verstärkt Aktien kaufen? Das ist nicht die einzige Erklärung für den Anstieg der Aktienkurse im Nachgang der Zinsentscheidung durch die Fed. Es gibt noch andere.

Ein weiterer Grund ist die Frage nach der Verteilung der Investoren-Gelder auf verschiedene Anlageklassen. Wenn die Zinsen hoch sind, sind Anleihen und andere Zins-Anlagen eine attraktive und vergleichsweise sichere Alternative zu den häufig stärker schwankenden Aktien. Jahr für Jahr werfen Anleihen Zinsen ab, und wer sie bis zum Schluss hält (und nicht gerade einen Pleitekandidaten als Emittenten erwischt hat), der macht auch keine Kursverluste. Bei hohen Zinsen schichten Investoren ihr Geld daher gerne in Anleihen um. Sinken die Zinsen wieder, sind hingegen Aktien wieder stärker gefragt.

Eine weitere Erklärung liefert aber auch das gängige Bewertungsverfahren für börsennotierte Aktiengesellschaften. Hier zählt nicht nur der Substanzwert, also das, was Produktionsgebäude, Fuhrpark, Patente, Büroimmobilien und sonstiges firmeneigenes Vermögen wert sind. Sondern an der Börse zählt auch, was die künftigen Gewinne aus heutiger Sicht wert sind, der so genannte Kapitalwert. Dieser Kapitalwert wird ermittelt als Summe der künftigen Gewinne. Allerdings müssen diese Gewinne auf den heutigen Tag abgezinst werden – denn eine Zahlung in weiterer Zukunft ist aus heutiger Sicht weniger wert als eine, die gleich morgen eintrifft.

Je höher der Abzinsungssatz, desto weniger wert sind künftige Gewinne aus heutiger Sicht. Umgekehrt gilt: Sinken die Zinsen, sinkt auch der Abzinsungssatz. Dann steigt plötzlich der Kapitalwert börsennotierter Unternehmen – und mit der steigenden Bewertung steigen üblicherweise auch die Börsenkurse.

Manchmal reagiert die Börse aber doch anders

Jetzt wissen Sie, warum üblicherweise die Aktienkurse steigen, wenn die Leitzinsen sinken. Diese Regel ist aber nicht unumstößlich. Denn es kann durchaus sein, dass die Börsen auf eine unerwartete oder unerwartet hohe Leitzinssenkung kurzfristig mit fallenden Kursen reagieren. Auch damit müssen Sie als Investor rechnen. Denn die Zentralbanken signalisieren damit, dass sie in Bezug auf die Konjunkturentwicklung große Befürchtungen hegen. Die Aussicht auf eine lahmende Konjunktur wiederum weckt nicht gerade das Vertrauen in sprudelnde Unternehmensgewinne.

Mein Rat an Sie lautet: Behalten Sie das Zinsgeschehen im Auge, aber lassen Sie sich von den kurzfristigen Reaktionen der Börsen nicht irritieren. Mit einer guten Streuung Ihres Vermögens auf Aktien, Gold und einige Anleihen wappnen Sie sich für die verschiedensten Szenarien.