Wasserstoff-Aktien: Ist die Fantasie noch zu retten?
Seit einigen Jahren oder vielleicht sogar seit Jahrzehnten gilt sauberer Wasserstoff an der Börse als die große Investment-Story schlechthin. Doch bislang hat sich dieses Thema nicht wirklich als nachhaltig erwiesen, wie Sie im Chart sehen können (Stand: 02.10.2024, 11:00 Uhr):
Quelle: www.aktienscreener.com
Der Chart bildet einen Wasserstoff-Index ab, in dem bekannte Branchenaktien wie Nel ASA, ITM Power, PowerCell, Bloom Energy, Plug Power und Fuelcell Energy gelistet sind. Zu sehen ist die massive Abwärtsbewegung des Index nach dem Hoch im Jahr 2021. Vor dem Einbruch waren die Wasserstoff-Aktien angesichts der allerorten geschürten Wachstumsfantasie noch durch die Decke geschossen.
Doch diese Fantasie erwies sich zuletzt als wenig realitätstauglich. Die Unternehmen, die grünen Wasserstoff oder Brennstoffzellen produzieren, enttäuschten nicht nur mit tiefroten Zahlen, sondern blieben auch beim Wachstum deutlich hinter den ursprünglichen Erwartungen zurück. Unter anderem die schwierigen makroökonomischen Bedingungen in Form hoher Zinsen und Inflation begrenzten die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft und ließen den Wasserstoff ins Abseits geraten – trotz teils üppiger Subventionsversprechen.
Dennoch: Ein Abgesang auf Wasserstoff würde dem eigentlich hervorragenden Potenzial dieses Energieträgers zur Dekarbonisierung der Wirtschaft nicht gerecht werden. Aber wie steht es aktuell eigentlich um den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft? Geht es spürbar voran – oder dümpelt die Branche weiter vor sich hin?
Neue IEA-Studie: Fortschritte ja, aber nicht genug
Hierzu hat die Internationale Energieagentur (IEA) nun ihre neuste Studie „Global Hydrogen Review 2024“ veröffentlicht. Kurzum: Große Jubelschreie dürfte die Analyse nicht auslösen, wenngleich es Fortschritte gibt.
Demnach haben sich die endgültigen Investitionsentscheidungen (FID) für nachhaltige Wasserstoffprojekte in den letzten 12 Monaten auf globaler Ebene verdoppelt. Diese FIDs umfassen 3,4 Millionen Tonnen pro Jahr und setzen sich zu 55,8 % aus Elektrolyseproduktion (grüner Wasserstoff) und zu 44,2 % aus fossiler Produktion mit anschließender CO2-Abscheidung und -Speicherung (blauer Wasserstoff) zusammen.
Trotzdem: Die Internationale Energieagentur zeigt sich insgesamt nur bedingt optimistisch – da die Wirtschaft den nachhaltigen Wasserstoff offenbar nur in geringem Maße berücksichtigt. Die Nachfrageziele lägen deutlich unter den Kapazitäten der Produktionsprojekte. Heißt: Selbst wenn die genannten Projekte rechtzeitig betriebsbereit wären, könnten viele von ihnen wegen des mangelnden Bedarfs möglicherweise gar nicht unter Volllast arbeiten.
Experten fordern mehr staatliche Anreize
Auch deshalb sei die Projekt-Pipeline gefährdet. Unternehmen könnten von ihren Produktionsprojekten Abstand nehmen. Neben den Unsicherheiten bei der Nachfrage gebe es zudem weiterhin Finanzierungshürden, Verzögerungen bei der Subventionsvergabe, regulatorische Unsicherheiten sowie Genehmigungsprobleme, moniert die IEA.
Die Agentur ruft deshalb erneut die politischen Entscheider dazu auf, wirksame Instrumente zum Hochlauf der nachhaltigen Wasserstoffproduktion zu identifizieren und zu etablieren. Gleichzeitig müssten die Technologien günstiger werden – vor allem die Produktion von grünem Wasserstoff in Elektrolyseuren. Neben dem technologischen Fortschritt hofft die IEA auf Skaleneffekte, die mit einer Massenfertigung einhergingen, für die es allerdings wie erwähnt noch mehr staatliche Anreize bräuchte.
Grüner Wasserstoff: China sprintet davon
Vorreiter dürfte hier abermals China sein. In den letzten 12 Monaten entfielen etwa 40 % der erteilten Investitionsentscheidungen rund um grünen Wasserstoff auf die Volksrepublik. China bleibt damit weiterhin der Markführer bei Elektrolyseuren und wird auch diesen für die Energiewende wichtigen Markt auf absehbare Zeit kontrollieren.
Der Grund: Die Massenfertigung läuft dort bereits an, was die Kosten insgesamt senkt. Die IEA erwartet, dass in China grüner Wasserstoff bis 2030 günstiger produziert werden kann wie der auf Erdgas basierende Wasserstoff – auch weil der für die Elektrolyse nötige Öko-Strom in der Volksrepublik im Unterschied etwa zu Deutschland in Hülle und Fülle vorhanden sei.
Mein Fazit für Sie
Damit die Wasserstoffziele zum Beispiel der EU erreicht werden könnten, müsste die Branche schier astronomisch wachsen – und das innerhalb weniger Jahre. Bis 2030 sollen in der EU rund 10 Millionen Tonnen an sauberem Wasserstoff pro Jahr hergestellt werden. Hierfür müssten die EU-Länder das Wachstumstempo der letzten Jahre um das 20-Fache erhöhen. Allein die hierfür nötigen, zusätzlichen Elektrolyseurkapazitäten würden nach Schätzungen der Beratungsgesellschaft PwC etwa 24.000 neue Windräder bis Ende des Jahrzehnts erfordern.
Man muss meiner Meinung nach kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass diese Ziele zum Scheitern verurteilt sind. Trotzdem sollten Sie den grünen Wasserstoff nicht abschreiben. Ähnlich wie bei der Elektromobilität dürfte sich auch die H2-Wachstums-Story lediglich verzögern und nicht gänzlich zusammenbrechen. Denn: Ohne nachhaltigen Wasserstoff kann es in vielen Industriebereichen, in denen eine direkte Elektrifizierung oder andere kohlenstoffarme Optionen technisch oder wirtschaftlich nicht machbar sind, keine sinnvolle Dekarbonisierung geben.
Umso mehr sollten Sie als Anleger jetzt jede Menge Geduld mitbringen und Investments in entsprechende Aktien nur mit einem langen Horizont angehen.