Etsy Aktie – zerrdeppertes Porzellan
Der Online-Marktplatz Etsy zählte lange zu den Stars des E-Commerce. Die Aktie rauschte scheinbar ungebremst nach oben. Nun aber stehen Investoren vor einem Scherbenhaufen.
Handgemachtes, Vintage & anderes Gedöns
Wenn die gelangweilte Zahnarzt-Gattin töpfert und glaubt, dies sei schon Kunst, bietet sie die Ergebnisse ihres Dilettantismus vorzugsweise über die Verkaufsplattform Etsy an. Aber auch durchaus talentierte Künstler, deren Oeuvre nichts mit Pinselquälerei zu tun hat, vermarkten ihre Werke gern und oft über Etsy. Merke: Kunst kommt von „Können“ und nicht von „Wollen“. Sonst hieße es ja „Wunst“.
Etsy Inc. wurde im Jahr 2005 im New Yorker Stadtteil Brooklyn – wo auch sonst – gegründet. Zweifellos bedient die Online-Plattform eine ziemlich lukrative Nische. Rege gehandelt werden dort Handgemachtes, alles was irgendwie Vintage ist sowie auch Künstlerbedarf. Um im Bild zu bleiben: Die Zahnarztgattin kann also hier völlig folgenlos nicht nur ihre gestümperten Tonkrüge präsentieren, sondern sich auch mit einem winzigen Teil ihres Taschengeldes die für eine hoffnungsvolle Künstlerin notwendige Ausstattung besorgen. Somit ist Etsy von Beginn an gleichsam das eBay für alle, die mit Profanem nicht gerade viel am Hut haben.
Aktienkurs von Etsy ging durch die Decke
Schon irre jener Durchmarsch, den der Aktienkurs in den vergangenen rund sieben Jahren, also seit dem Börsengang der Etsy Inc., hinlegte. Nach jahrelangem und mit – passend zur Zielgruppe – melancholischem Dümpeln sprang der Aktienkurs Anfang des Jahres 2020 an und stieg in der Folge bis Ende vergangenen Jahres auf sein historisches Hoch von umgerechnet 270 Euro. Wahrscheinlich war ein Teil des Kursanstiegs auch den Pandemie-Folgen zu verdanken. Danach aber gings nur noch bergab. Momentan kostet die Etsy Aktie noch nicht einmal 90 Euro, nachdem sie vor wenigen Wochen – Ende Mai 2022 – auf gut 60 Euro gefallen war.
Was ist bei Etsy los?
Mehr als 60 Prozent Wertverlust in nur rund einem halben Jahr treibt selbst hartgesottenen Spekulanten die Tränen in die Augen. Und das bei einem Unternehmen mit einem Geschäftsmodell, bei dem es eigentlich nichts zu deuteln gibt, nicht zuletzt wegen der riesigen Zielgruppe. Denn Zahnarzt-Gattinnen gibt es mehr als genug, Rechtsanwalts-Frauen ebenfalls.
Ein Blick auf die Zahlen des ersten Quartals im laufenden Geschäftsjahr könnte da helfen. Der Umsatz stieg geringfügig um 5,2 Prozent auf knapp 580 Millionen US‑Dollar. Für einen Wachstumswert, der Etsy nun mal sein soll und sein will, ziemlich mickrig. Mitentscheidend für den Kurssturz ist aber der Rückgang des Nettoergebnisses um 40 Prozent.
Zwar ist Etsy nach wie vor satt profitabel. Aber ein Gewinnrückgang dieses Ausmaßes bei einer Growth-Aktie verzeiht so gut wie niemand. Investoren ließen die Papiere fallen wie Ausschussware einer Porzellan-Manufaktur. Und nun?
Etsy Aktie jetzt ein Kauf?
Um dies zu wiederholen: Etsy macht nach wie vor Gewinn, was man beileibe nicht von allen Growth-Werten aus dem Tech-Sektor behaupten kann. Der Analysten-Konsens schätzt für das laufende Geschäftsjahr ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von gut 41, für das kommende Geschäftsjahr von rund 31. Das Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) von 5 lädt auch nicht zum Jammern und Wehklagen ein. Ich sehe es so: Bei der Etsy Aktie ist das Glas halb voll und nicht halb leer. Heißt also: Auf dem jetzt vergleichsweise niedrigen Kursniveau investiert man in ein Unternehmen mit stimmigem Geschäftsmodell und einer riesigen Zielgruppe. Mittelstreckenläufer unter den Anlegern können sich gern ein paar Stücke ins Depot legen.