Twitter sperrt Trump: Späte Einsicht
Twitter hat getan, was Tausende schon lange forderten: Der Kurznachrichtendienst hat den Account von Donald Trump gesperrt. Zunächst für zwölf Stunden, inzwischen dauerhaft offline ist das wichtigste Sprachrohr des noch ein paar Tage amtierenden US-Präsidenten.
Zu dem Schritt veranlasst sah sich Twitter, wenig überraschend, nach dem Sturm aufs Kapitol in der vergangenen Woche. Randalierende Trump-Anhänger verwüsteten den Sitz des Parlaments, selbst etliche Republikaner wandten sich daraufhin vom Präsidenten ab.
Auch Twitter zog also die Reißleine – reichlich spät, wie Kritiker monieren. Jahrelang hat das Unternehmen den tobenden Präsidenten gewähren lassen, zigtausende Tweets konnte er vor und insbesondere während seiner Präsidentschaft absetzen, ohne dass dies vonseiten des Kurznachrichtendienstes unterbunden oder auch nur reguliert worden wäre.
Späte Kehrtwende
Erst vor wenigen Monaten sah man sich bemüßigt, einzelne Tweets mit Warnhinweisen und Faktenchecks zu versehen – ein Schritt, der Trump auf die Palme brachte, er drohte gar mit der Schließung von Twitter. Bekanntlich hat er das nicht durchgezogen, er wollte sich sein resonanzstärkstes Megafon wohl doch nicht selbst aus der Hand schlagen.
Twitter seinerseits hat blendend profitiert: Dank Trump war die Marke ständig in den Medien präsent, mit seinen Millionen Followern – Anhängern, Gegnern und Beobachtern – erzeugte er über die Jahre einen immensen Traffic, Klicks, Tweets, Retweets, Reaktionen, Likes und dergleichen mehr. Kein Tweet blieb unbemerkt oder unkommentiert, Trump erwies sich als Goldesel für Twitter in Sachen Interaktion und Twitter als Goldgrube für Trump in Sachen Reichweite.
Während andere Regierungschefs sich mit der Nutzung des Internet im Allgemeinen eher schwertun – Stichwort: Neuland – oder ihre Präsenz in sozialen Medien als einen unter vielen Kommunikationskanälen verstehen und bespielen, hat Trump Twitter zu seinem Leitmedium auserkoren und die Ansprache seiner Anhänger über die Kurznachrichten perfektioniert.
Ungefilterter Direktdraht
Der direkte Draht in seine Echokammern war dem Präsidenten damit gewiss, ungefiltert konnte er mit ihnen in Interaktion treten und ihnen solange seine eigene Interpretation der Realität einflüstern, bis geradezu eine surreale Parallelwelt entstanden war, in der man es für selbstverständlich hält, dass eine Wahl nicht verloren werden kann, sondern nur gewonnen oder andernfalls manipuliert sein muss, und dass es ein legitimes Mittel des Protests darstellt, im Büffelkostüm das Parlamentsgebäude zu stürmen, Rednerpulte zu entwenden oder sich in verwüsteten Abgeordnetenbüros ablichten zu lassen.
Die Realitätsferne und Respektlosigkeit, mit der Trumps Anhänger inzwischen agieren, hat der scheidende Präsident vier Jahre lang gefüttert – und zwar vor allem via Twitter. Dass der Kurznachrichtendienst ihm jetzt den Saft abdreht, ist richtig, aber es kommt reichlich spät, knapp zwei Wochen vor dem regulären Ende seiner Amtszeit.
Fragliche Machtfülle privater Konzerne
Würde Twitter es ernstmeinen mit seiner demokratischen Verantwortung, der Stecker hätte wesentlich früher gezogen werden müssen. In diesem Zusammenhang wird künftig auch die Frage zu diskutieren sein, inwieweit eine solche Entscheidungsmacht in der Hand von Privatunternehmen liegen sollte, die allein nach ihren selbst formulierten Hausregeln, also Nutzungsbedingungen, entscheiden über Zensur oder Freiheit. Kritiker fordern auch hier schon längst regulierende Rahmensetzung durch staatliche Institutionen. Die Europäische Union treibt entsprechende Vorhaben bereits voran, der designierte US-Präsident Joe Biden hat Ähnliches anklingen lassen.
Es dürfte sich künftig einiges ändern bei Twitter – und es wird stiller, nun, da der größte Schreihals stillgelegt ist.