Boeing erneut in Turbulenzen?

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Der Zwischenfall mit einer fabrikneuen Boeing 737 Max bei Alaska Airlines Anfang Januar könnte für den Flugzeugbauer gravierendere Folgen haben als bislang gedacht.

Damals hatte die Maschine im Steigflug ein Kabinenteil verloren. Nur dem Zufall ist es zu verdanken, dass kein Mensch ernsthaft zu Schaden kam. Boeing aber steht seither wieder unter verschärfter Beobachtung. Die US-Luftfahrtaufsichtsbehörde FAA hat die Produktionsabläufe noch einmal genau unter die Lupe genommen – und dabei zum Teil erhebliche Mängel festgestellt.

Deal in Gefahr: Muss Boeing doch noch vor Gericht?

Rückblick: Bereits vor gut 5 Jahren geriet Boeing massiv unter Druck. Innerhalb weniger Monate waren zwei relativ neue Maschinen des Typs Boeing 737 Max abgestürzt, insgesamt 346 Menschen verloren dabei ihr Leben. Untersuchungen zeigten zahlreiche Versäumnisse auf, unter anderem eine mangelhafte neue Software und eine unzureichende Pilotenschulung hierfür. Die Neuauflage eines der meistverkauften Flugzeuge in der Geschichte der zivilen Luftfahrt wurde für fast zwei Jahre gegroundet, erhielt also ein Start- und Landeverbot, und das letztlich weltweit.

Dass Boeing dafür nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurde, regelte eine Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und der Staatsanwaltschaft. Darin wurden verschiedene Auflagen festgehalten. Unter anderem sollte Boeing „ein Compliance- und Ethikprogramm entwickeln, umsetzen und durchsetzen, um Verstöße gegen US-Betrugsgesetze im gesamten Unternehmen zu verhindern und aufzudecken“.

Boeing verstößt abermals gegen Compliance-Vorgaben

Für die Umsetzung eines solchen Programms wurden Boeing 3 Jahre Zeit eingeräumt. Wenige Tage vor Ablauf der Frist ereignete sich der Zwischenfall bei Alaska Airlines – und im Zuge der anschließenden Untersuchungen fiel auf, dass Boeing sich offenbar nicht an die Vereinbarung gehalten und ein solches Programm im Unternehmen etabliert hatte.

Damit ist laut US-Justizministerium der Deal von damals hinfällig. Boeing könnte nun also doch noch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden für die beiden Abstürze von 2018 und 2019. Das Unternehmen hat sozusagen gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen. Nun könnte es zum Prozess kommen, eine entsprechende Klageschrift wurde vor wenigen Tagen bei einem Gericht in Texas eingereicht. Boeing hat noch bis zum 13. Juni Zeit, dazu Stellung zu beziehen.

Strafverfahren auch für Alaska-Vorfall?

Auch für den Vorfall bei Alaska Airlines könnten strafrechtliche Konsequenzen drohen. Die Passagiere des betroffenen Fluges wurden jedenfalls bereits von der Staatsanwaltschaft kontaktiert und darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie möglicherweise Opfer eines Verbrechens wurden, als sich das Rumpfteil wegen fehlender Bolzen von der Maschine löste.

Für den US-Flugzeughersteller, der über Jahrzehnte die Standards in der zivilen Luftfahrt setzte und einen hervorragenden Ruf genoss, ist das Ganze ein seit 5 Jahren nicht endender Albtraum. Vom positiven Image und der guten Sicherheitsbilanz ist nichts mehr übrig, Passagiere und Airlines vertrauen dem Hersteller nicht mehr.

Das schlägt sich längst auch in knallharten Zahlen nieder. Der europäische Konkurrent Airbus verkauft aktuell fast doppelt so viele Flugzeuge wie Boeing und freut sich über prall gefüllte Auftragsbücher. Bis ins kommende Jahrzehnt hinein sind die Fertigungskapazitäten für einige Airbus-Modellreihen ausgebucht. Bei Boeing dagegen gehen immer wieder größere Stornierungen ein – und neuerdings eine Klageschrift vom US-Justizministerium.

Boeing Aktie im Dauer-Sinkflug

Auch die Aktie von Boeing hat sich von dem 737-Desaster bis heute nicht erholt. Vor dem Grounding der Flotte war das Papier noch rund 350 Dollar wert – seither hat der Kurs es kaum über 250 Dollar geschafft. Zuletzt war das Papier mit 185 Dollar noch einmal deutlich weniger wert.

Analysten hoffen auf eine Erholung im zweiten Halbjahr und eine Ausweitung der Produktionskapazitäten. Zuletzt bescheinigten unter anderem die kanadische Bank RBC sowie die US-Großbanken Goldman Sachs und JP Morgan der Boeing Aktie Aufholpotenzial. Die Kursziele setzten sie mit 210 (JP Morgan) und 215 Dollar (RBC) deutlich über dem aktuellen Kursniveau an. Goldman Sachs traut der Aktie sogar einen Anstieg um fast ein Drittel auf 243 Dollar zu.