Altria – blauer Dunst, weißer Dunst & Hustenanfall
Für risikoscheue Anleger waren die Aktien des Tabakkonzerns Altria lange eine sichere Bank. Doch seit einiger Zeit gibt es Stress, der Kurs sinkt. Was nun – gut abhusten und dann investieren?
Aus Philip Morris wurde Altria
Das Geschäftsmodell der Altria-Group funktioniert schon eine kleine Ewigkeit – vor dem Jahr 2003 allerdings unter dem Namen Philipp Morris. Unvergessen der Cowboy, der früher in TV-Werbe-Sports (ja, da waren die noch erlaubt) und im Kino dem Sonnenuntergang entgegenritt. Selbstverständlich erst, nachdem er sich eine Marlboro angesteckt und diese ins Nikotin-gelbe Gebiss geschoben hatte. Ein tiefer Lungenzug, vielleicht auch zwei oder drei, und der Horizont war zum Greifen nah.
Vor knapp 20 Jahren also wurde Philipp Morris aufgespalten, um Schadenersatzrisiken aufgrund des Rauchens auszulagern. Und zwar in die Altria Group, die ihr Geld hauptsächlich mit Tabak-Produkten verdient, aber auch mit Wein und mit Finanzdienstleistungen. Zu den bekanntesten und umsatzstärksten Nikotin-Stängeln zählen bis heute die Dunst-Ikone Marlboro sowie L&M.
Hohe Dividenden, hübsche Kursgewinne
Sollten Investoren aus ethischen-moralischen Gründen um manche Branchen, etwa die Rüstungsindustrie und die Tabakindustrie, einen weiten Bogen machen? Immer mehr Anleger tun dies, immer noch ziemlich viele aber auch nicht. Wer also die Altria Aktie in seinem Depot hielt, hatte bis vor wenigen Wochen – um genau zu sein: bis Anfang Mai 2022 – noch recht viel Spaß. Denn in den ungefähr zwölf Monaten zuvor war der Aktienkurs von umgerechnet knapp über 30 Euro nahezu 55 Euro geklettert. On top erhielten die Investoren eine Dividendenrendite von deutlich mehr als 7 Prozent.
Nicht gerade schlecht, wenn man die allgemeine Börsenverfassung seit Jahresbeginn betrachtet. In einer Zeit also, während der weitaus mehr Investoren verzweifelt sind als freudig erregt. Nennen wir die Ereignisse, die letztlich zum Absturz der Altria Aktie führten, der Einfachheit halber das „Juul Desaster“…
Wer oder was ist Juul?
Der korrekte Firmennamen lautet Juul Labs, Inc. Das Unternehmen hat seinen Sitz im US-Bundesstaat Kalifornien und produziert die gleichnamige E‑Zigarette. Im Jahr 2018, so Branchenberichte, stammten drei von vier in den USA verkauften E-Zigaretten von Juul Labs.
Hier schließt sich der Kreis zu Altria. Denn der Tabakindustrie pfeift ordentlich der blaue Dunst um ihre Headquarters – nicht als laues Lüftchen, sondern als Orkan, der sich aufplustert und zunehmend an Stärke gewinnt. Deshalb hatte sich Altria mit 35 Prozent an Juul Labs beteiligt – in der Hoffnung, eine Wachstumsalternative zu den traditionellen Tabak-Produkten zu haben, deren Tage allmählich wohl gezählt sind.
Mit der Beteiligung an Juul hatte Altria offenbar nicht gerade ein glückliches Händchen, in den vergangenen Jahren mussten beträchtliche Summen abgeschrieben werden. Im laufenden Geschäftsjahr könnten sich weitere rund 1,6 Milliarden US-Dollar Beteiligungswert in der Altria-Bilanz vaporisieren. Hintergrund: Kürzlich hat die amerikanische Aufsichtsbehörde Food and Drug Administration (FDA) die E‑Zigarette von Juul quasi vom Markt genommen. Geradezu einer Katastrophe für Altria und deren weitere Wachstumsaussichten bzw. ein herber Rückschlag im Bemühen, unabhängiger zu werden von herkömmlichen Tabak-Produkten.
Wie geht es weiter mit der Altria Aktie?
Trotz Marlboro und L&M und einem Marktanteil von knapp 50 Prozent in den USA könnte es für Altria allmählich eng werden, weil der Gesamtmarkt schrumpft. Das dürften auch die kleineren Geschäftsbereiche von Altria – Weinhandel und Finanzdienstleistungen – nicht ausgleichen können.
Mit umgerechnet knapp 40 Euro notiert die Altria Aktie weit unter ihrem historischen Höchststand von ca. 70 Euro. In den vergangenen zehn Jahren betrug der kumulierte Wertzuwachs rund 45 Prozent plus üppige Dividendenzahlungen.
Lange Jahre überzeugte Altria die Anleger durch ein vergleichsweise niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Der Analysten-Konsens schätzt für die Geschäftsjahre 2022 und 2023 jeweils ein KGV von weniger als 9. Aber: In den Schätzungen sind mit einiger Sicherheit die Ereignisse um Juul Labs noch nicht eingearbeitet.
Ob Anleger jetzt in Altria einsteigen sollten? Investoren mit moralisch-ethischen Ambitionen haben das noch nie getan. Andere betrachten das aktuelle Kursniveau als gute Gelegenheit und sammeln Aktien ein. In der Hoffnung, dass dem als kompetent geltenden Management die Kompensation der Wachstumsverluste im traditionellen Geschäftsfeld der Tabak-Produkte durch eine diesmal erfolgreiche Diversifizierung gelingt.