Startet Draghi heute die Sommer-Rally?
Heute findet mit der Ratssitzung der Europäischen Notenbank das Wochen-Highlight statt. Die Anleger warten mit Spannung auf Äußerungen von EZB-Chef Mario Draghi. Zuletzt hatten sich Spekulationen um steigende Zinsen im Euroraum regelrecht verselbständigt, was erstmals auch für zusätzlichen Druck auf die europäischen Aktienkurse sorgte, die trotz neuer Allzeithochs an der US-Leitbörse fielen.
Die Gemeinschaftswährung hingegen hat in den vergangenen Tagen und Wochen massiv an Wert gewonnen. Für die europäischen Exportaussichten ist eine so schnelle Aufwertung jedoch eine starke Belastung. Bei Kursen um 1,15 bei EUR/USD dürfte die Schmerzgrenze der Europäischen Zentralbank erreicht sein. Sie interveniert zunehmend verbal.
EZB interveniert zunehmend verbal gegen die Euro-Aufwertung
So betonte Frankreichs Notenbank-Chef Francois Villeroy de Galhau gestern die Notwendigkeit einer lockeren Geldpolitik erneut. Die Notenbank habe zwar Fortschritte erzielt, ihr Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent sei aber noch nicht erreicht, sagte das EZB-Ratsmitglied vor einem Ausschuss des französischen Parlaments. Daher bestehe weiterhin Bedarf für eine konjunkturfördernde Geldpolitik. Wie locker diese sei, hänge von der ökonomischen Lage und dem Preisauftrieb ab.
Ähnliche Töne kamen zuvor vom lettischen Notenbankchef Ilmars Rimsevics. Dieser sagte, die Anleihenkäufe der EZB mögen vielleicht zurückgefahren werden, ein Ende sei damit jedoch nicht in Sicht. Die Programme könnten noch Jahre weiterlaufen, bis die Inflation dem Notenbankziel entspricht.
EZB-Sitzung mit Überraschungsei?
Am Markt rechnet man ernsthaft erst auf der Zinssitzung am 7. September mit der Ankündigung einer Rückführung der billionenschweren Anleihenkäufe. Insgeheim wünscht man sich aber wohl, dass Draghi heute bereits entsprechende Andeutungen macht. Bleiben diese aus, dürften etliche Spekulanten, die auf einen weiter steigenden Euro gesetzt haben, auf dem falschen Fuß erwischt werden. Und das ausgerechnet an einem neuralgischen, charttechnischen Punkt: Am Widerstand bei 1,15, der bereits zwei Jahre lang jeden Rallyversuch bei EUR/USD abgewürgt hat
Für ein erneutes Scheitern der jüngsten Euro-Rally sprechen tatsächlich einige Punkte: Der Optimismus der Euro-Spekulanten ist derzeit ungewöhnlich hoch. Fast so hoch wie vor dem Euro-Absturz Mitte 2014 und wesentlich höher als während der Beendigung der letzten Rallyversuche im August 2015 und im Mai 2016.
Zu viele Spekulanten zu einseitig positioniert
Zudem spricht die Positionierung der Anleger an der Terminbörse gegen einen nachhaltig steigenden Euro. Die „Commercial Hedgers“ sind die einzige Anlegergruppe, die mittelfristig fast immer richtigliegt. Sie sichern sich dort gegen Währungsschwankungen ab. Sie setzen aktuell massiv (108.000 Kontrakte short) auf einen fallenden Euro. Ähnliche massive Shortpositionierungen gab es zuletzt nur Mitte 2011 und Anfang 2014. Jedes Mal folgen deutliche Abwärtstrecken beim Euro von mindestens 20 Prozent binnen Jahresfrist. Von dieser Seite spricht also einiges gegen eine nachhaltige Euro-Aufwertung.
Für den Euro spricht derzeit in Ansätzen die Charttechnik. Hält die Aufwärtsdynamik der letzten Wochen an, dann könnte der Widerstand bei 1,15 fallen und damit ein neuer Aufwärtstrend gestartet werden. Der extreme Euro-Pessimismus und die Bärenfalle Ende 2016 deuten zudem darauf hin, dass hier ein markantes Tief entstanden sein könnte. Zudem zeigen die Indikatoren positive Divergenzen. Bisher verlief allerdings jeder Rallyversuch über 1,15 im Sande. Typisch für die Seitwärtsbewegung sind die vielen Fehlausbrüche der vergangenen Jahre.
EUR/USD: Wird der Deckel nachhaltig weggesprengt?
Mein Szenario für EUR/USD:
Wie passen diese Widersprüche zusammen? Ich denke, wir dürften über kurz oder lang eine scharfe Korrektur beim Euro sehen, bis die Stimmung wieder abgekühlt ist. Erreicht der Euro dabei kein neues Mehrjahrestief unter 1,03, dann stehen die Chancen für eine große Rally nach dieser Korrektur gut. Der Versuch einer direkten Rallyfortsetzung dürfte jedoch spätestens am Widerstand bei 1,20 scheitern, weil das Boot bereits zu voll ist. Es sei denn, die EZB würde eine weitere Aufwertung stützen, was nach Lage der Dinge nicht wahrscheinlich ist.