Shell-Aktie: Wie CEO Wael Sawan den Ölriesen verschlankt!
Über viele Jahrzehnte hinweg hat Shell rund um den Globus eifrig und ohne Unterlass Assets gekauft und ist damit zu einem der größten Konzerne der Welt avanciert. Der Ölmulti kam 2023 mit seinen 91.000 Mitarbeitern auf einen Umsatz von beachtlichen 317 Milliarden USD.
Im Bild sehen Sie grob die Standorte der Shell-Aktivitäten rund um den Globus (Daten aus 2019, Russland-Aktivitäten sind hier noch vollumfänglich inkludiert):
Shell-Chef Wael Sawan: mehr Profitabilität durch Verschlankung
Doch nach Jahrzehnten des ungezügelten Wachstums drückt der seit Anfang 2023 amtierende CEO Wael Sawan nun in einigen Bereichen auf die Bremse. Vielleicht haben Sie es auch in den Medien gelesen: Im letzten Jahr hatte Shell angekündigt, sich aus dem Verbrauchergeschäft in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden zurückzuziehen. Hierzulande etwa hatte der Konzern rund 110.000 Kunden mit Strom und Gas versorgt, in Großbritannien waren es gar 1,4 Millionen. Nun übernimmt Octopus Energy diese Assets. Shell-Boos Sawan begründete den Schritt mit den schwachen Renditen des Verbrauchergeschäfts.
Und genau hier offenbart sich die Strategie des Konzernchefs. Der Manager will Shell verschlanken und dabei jene Geschäftsbereiche loswerden, die wenig oder gar nicht profitabel sind und die auf absehbare Zeit kaum Gewinnpotenzial bieten.
Ein weiteres Beispiel ist die inzwischen fast schon berüchtigte Raffinerie Schwedt in der Uckermark (Brandenburg, Deutschland). Shell hat Ende 2023 den Verkauf seiner Beteiligung an den Bund bekannt gegeben. Schwedt ist für etwa 10 % der deutschen Kraftstoffproduktion verantwortlich, war wegen des Ukraine-Kriegs und der Abhängigkeit von russischem Öl aber in die Bredouille geraten. Shell jedenfalls hatte den Anteilsverkauf bereits seit Jahren forciert, um sein Raffinerie-Geschäft in Deutschland zu konsolidieren und die Gewinnmargen zu verbessern. Nun ist der Ölmulti offenbar auch hier am Ziel.
Raffinerie und Petrochemie: Shell verkauft Assets in Singapur
Aber nicht nur in Europa setzt Wael Sawan seine Strategie unermüdlich durch. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Shell zugestimmt hat, seine Raffinerie und Petrochemie-Assets in und um Singapur zu verkaufen. Die Käufer sind demnach das indonesische Chemieunternehmen Chandra Asri und der Schweizer Rohstoffgigant Glencore. Dass sich der Ölkonzern prinzipiell von den dortigen Vermögenswerten trennen will, war bereits 2023 bekannt geworden.
Nun scheint der entsprechende Deal auf dem Weg zu sein und könnte bis Ende 2024 abgeschlossen werden. Die noch zu Shell gehörende Raffinerie kommt auf eine Verarbeitungskapazität von 237.000 Barrel Öl pro Tag. Die Petrochemie-Anlage auf der Insel Bukom produziert 1 Millionen Tonnen Ethylen pro Jahr. Hinzu kommt ein Monoethylenglykol-Standort im Westen von Singapur. Auch diese Verkaufsmaßnahme begründet Shell mit der forcierten Ausrichtung auf profitablere Geschäfte – und überdies mit der Verbesserung der CO2-Bilanz.
Ebenfalls im Schaufenster steht offenbar das Tankstellengeschäft in Malaysia. Shell führt laut Medienberichten Gespräche mit dem saudischen Ölgiganten Saudi Aramco, um seine 950 Tankstellen in Malaysia loszuwerden. Die entsprechenden Assets könnten auf einen Wert von bis zu 1 Milliarde USD kommen. Der Clou: Die Tankstellen in Malaysia werden von der bald nicht mehr zu Shell gehörenden Raffinerie in Singapur beliefert. Entsprechend würde der Verkauf des Tankstellenetzes, immerhin das zweitgrößte des südostasiatischen Landes, durchaus Sinn ergeben.
Q1 2024: Shell meldet überraschend starken Gewinn
Tatsächlich, und jetzt wird es für Sie als Anleger so richtig interessant, zeigt die Strategie bereits Früchte. Anfang Mai hat der Ölkonzern seine neusten Quartalszahlen vorgelegt, die an der Börse mit Wohlwollen quittiert wurden. So konnte Shell im ersten Quartal 2024 einen Gewinn von 7,7 Milliarden USD erzielen und damit die Erwartungen der meisten Analysten übertreffen. Der überraschend saftige Überschuss lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen.
So sorgten die Lieferkettenprobleme mit Blick auf die Krise im Roten Meer für einen Preisschub im Ölhandel – ebenfalls positiv wirkten sich die ukrainischen Drohnenangriffe auf russische Raffinerien aus. Hinzu kam die höhere Produktion von Flüssigerdgas (LNG). Und nicht zuletzt erwiesen sich die von Konzernboss Sawan forcierten Effizienzverbesserungen und Kostensenkungen als Profitabilitätstreiber.
Mein Fazit für Sie
Dass Shell seine überbordende Größe zum Wohle der Effizienz reduzieren will, ist aus Investorensicht meiner Meinung nach zu begrüßen. Über die Jahre haben sich im Portfolio etliche Assets angehäuft, deren Profitaussichten nicht gerade rosig sind. Sich von diesen Vermögenswerten zu trennen, ist also betriebswirtschaftlich naheliegend.
Shell kann dadurch seine Gewinnmargen steigern und tendenziell seinen Anlegern anteilig höhere Dividenden ausschütten. Zudem – und das sollten Sie ebenfalls nicht unterschätzen – kann der Ölkonzern seine Transformation mit Blick auf die Energiewende effizienter vorantreiben. Auch hier wird Shell verstärkt auf die Assets setzen, die relativ schnell relativ viel Profit einbringen können. Dazu gehören zum Beispiel die Ladeinfrastruktur für Elektroautos sowie die Biokraftstoffe und nachhaltigen Flugtreibstoffe (SAFs).
Die Shell-Aktie hat im bisherigen Jahresverlauf bereits deutlich zugelegt – übrigens stärker als der Titel des Erzrivalen BP, der zuletzt mit seinen Quartalszahlen eher enttäuscht hat. Weitere Steigerungen der Shell-Aktie sind mit Blick auf das kluge Management unter Wael Sawan gut möglich.
Der größte Risikofaktor rund um die Aktie ist aktuell meiner Meinung nach das bisweilen erfolgreiche juristische Vorgehen von Klimaaktivisten gegen den Ölkonzern, die Shell dazu zwingen wollen, sich strengere CO2-Ziele aufzuerlegen. Diese würden die Geschäftsfreiheit und die Profitabilität des Konzerns wohl einschränken. Noch für 2024 wird ein Berufungsurteil bezüglich des Den Haager Klima-Prozesses aus dem Jahr 2021 erwartet, den die Aktivisten damals gegen Shell erstinstanzlich gewonnen hatten.