Shell-Aktie: Paukenschlag in Rotterdam
2021 hatte Shell mit Pauken und Trompeten eine neue Anlage in der niederländischen Hafenstadt Rotterdam angekündigt. Nun liegt das einstige Vorzeigeprojekt auf Eis.
Shells Transformationsplan für Rotterdam
Für Sie zur Einordnung: In seinem Rotterdamer Raffineriekomplex wollte Shell ursprünglich noch 2024 oder 2025 eine große Anlage zur Produktion von Biokraftstoffen in Betrieb nehmen. Pro Jahr sollte das Projekt rund 820.000 Tonnen des nachhaltigen Treibstoffs hervorbringen, der unter anderem aus gebrauchtem Speiseöl und tierischen Fettabfällen hergestellt werden sollte.
Mit der Anlage wollte Shell nicht nur seinen bestehenden Raffineriekomplex in Rotterdam dekarbonisieren, sondern auch dabei helfen, die Klimaziele der gesamten Niederlande zu erfüllen. Der Biokraftstoff sollte zu über 50 % als SAF (Sustainable Aviation Fuel) im Flugverkehr eingesetzt werden. Der restliche Anteil sollte auf die Herstellung von erneuerbarem Diesel entfallen.
„Shell ist schon seit einiger Zeit auf dem Weg in eine kohlenstoffärmere Zukunft. Diese Investition ist ein wichtiger Schritt zur Transformation des Energie- und Chemieparks Rotterdam von einer traditionellen Raffinerie in einen nachhaltigen Energiepark. Das Projekt wird während der Bauphase jedes Jahr Hunderte von Millionen Dollar an Investitionen erfordern, Hunderte von Arbeitsplätzen schaffen und dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts für die kommenden Jahre zu erhalten“, hatte der Niederlande-Chef des Konzerns, Marjan van Loon, 2021 zu Protokoll gegeben.
Biokraftstoffe in der Krise: Shell legt Projekt auf Eis
Doch nun hat es der Ölmulti offenbar nicht mehr ganz so eilig. Vor wenigen Tagen kündigte der Konzern an, das Vorzeigeprojekt in Rotterdam, das sich bereits im Bau befindet, vorübergehend zu stoppen. Heißt: Die Bauarbeiten werden eingestellt und die Anlage könnte unter Umständen erst Ende der 20er-Jahre in Betrieb gehen. Shell begründete die Maßnahme mit dem schwierigen Marktumfeld. Die Baupause solle dazu dienen, den wirtschaftlich sinnvollsten Weg für das Projekt zu finden. An den eigenen Klimaschutzzielen wolle der Konzern trotzdem festhalten, betonte der zuständige Manager Huibert Vigeveno. Und auch die CO2-armen Kraftstoffe blieben ein wichtiger Bestandteil dieser Strategie.
Hintergrund sind die zuletzt gefallenen Marktpreise für Biokraftstoffe in der EU. Experten machen hierfür vor allem zwei Faktoren verantwortlich. Erstens: In der EU wurden mancherorts die staatlichen Beimischungsziele rund um die Biokraftstoffe kürzlich gelockert, wohl auch um die Verbraucher und Unternehmen angesichts der makroökonomischen Herausforderungen zu schonen. In Schweden etwa hat die Regierung die zuvor hohen Biokraftstoff-Quoten deutlich eingedampft. In der Folge sinkt die Nachfrage nach dieser Sprit-Variante.
Zweitens: Vor allem chinesische Akteure fluten aktuell den europäischen Markt mit günstigen Produkten. Im Chart sehen Sie die Entwicklung der Biodiesel-Importe aus China:
Quelle: EIA (https://www.eia.gov/todayinenergy/detail.php?id=62123)
Demnach hatte China 2022 rund 60 % mehr Biodiesel nach Europa verschifft als 2021. 2023 wuchsen die Importe dann noch um 22 %. Die Chinesen setzen mit ihren Dumping-Preisen die europäischen Hersteller massiv unter Druck, was inzwischen auch von den EU-Behörden geprüft wird. Hier stehen aktuell ähnlich wie bei den Elektroautos Strafzölle für chinesische Importe im Raum. Diese könnten den Markt in Europa wieder verengen und die Preise unterstützen.
Bei Shell jedenfalls ist offenbar die Befürchtung gereift, dass man beim Biosprit ein wenig zu stark aufs Gaspedal gedrückt hat. Für die Bilanz des Konzerns hat das indes Konsequenzen. Shell räumte inzwischen ein, bis zu einer Milliarde USD auf das Projekt in Rotterdam wegen der Baupause abschreiben zu müssen. Insgesamt erwartet der Ölmulti für das zweite Quartal 2024 Abschreibungen von 1,5 bis 2 Milliarden USD. Zu den Abschreibungen für das Rotterdam-Projekt kommt noch eine 600 bis 800 Millionen USD schwere Abschreibung auf das gigantische Petrochemie-Werk in Singapur hinzu, das Shell unter anderem an den Rohstoffgiganten Glencore verkauft.
Mein Fazit für Sie
Shell-Chef Wael Sawan hat in den letzten Monaten eine eiserne Effizienzstrategie forciert und etliche Assets in Schaufenster gestellt bzw. bereits verkauft. Dabei ging und geht es auch um transformative Projekte wie nun die Biokraftstoffe. Der CEO will Shell dadurch zu einem noch margenstärkeren Unternehmen formen, auch um weiterhin lukrative Aktionärsrenditen zu ermöglichen. Das Management forciert hohe Dividenden und Aktienrückkaufprogramme, um die Investoren bei der Stange zu halten.
Dieser meiner Meinung nach ökonomisch vernünftige Ansatz wird vom Großteil der Shell-Aktionäre unterstützt, auch wenn es Stimmen gibt, die der Führungsspitze vorwerfen, zugunsten kurzfristiger Renditen die langfristige Perspektive – also die Transformation weg von den fossilen Energieträgern – zu gefährden. Wer am Ende Recht behält, muss die Zukunft zeigen.
Eines jedoch lässt sich aktuell durchaus sagen: Die ambitionierten Klimaschutzziele der Staaten, auf deren Basis Unternehmen wie Shell ihre Investitionsentscheidungen im Bereich Nachhaltigkeit treffen, sind alles andere als in Stein gemeißelt. Der Erfolg klimaskeptischer Parteien bei den Europawahlen spricht jedenfalls Bände. Insofern muss auch ein Konzern wie Shell flexibel bleiben.