Rivian-Aktie: Warum ist die Aktie so hoch bewertet?
Schauen Sie sich einmal diese Bilanzzahlen des ersten Halbjahres 2021 an:
- Volkswagen: Umsatz 67 Mrd. Euro; Nettogewinn 5 Mrd. Euro
- Rivian: Umsatz 0 Mrd. Dollar; Nettoverlust 0,9 Mrd. Dollar
Und nun ein anderer Vergleich (Daten vom 16. November):
- Volkswagen: Marktkapitalisierung 140 Mrd. Dollar
- Rivian: Marktkapitalisierung 145 Mrd. Dollar
Natürlich drängt sich jetzt die alles entscheidende Frage auf: Warum war Rivian als Firma, die im ersten Halbjahr keine Umsätze vorweisen konnte und darüber hinaus tiefrote Zahlen schrieb, in der letzten Woche mehr wert als das Autoimperium Volkswagen?
E-Auto-Start-up Rivian legt fulminantes Börsendebüt hin
Die Antwort ist recht simpel: Das 2009 gegründete US-Unternehmen ist ein Hersteller von Elektroautos. Aber nicht nur das. Rivian gilt als eine der aussichtsreichsten Jungfirmen in diesem extrem wachstumsstarken Segment. Kein Wunder also, dass die Börse Rivian derzeit nach oben lobt.
Der Börsengang von Rivian vor einigen Wochen war der bislang größte IPO des Jahres 2021. Das Unternehmen nahm dabei 11,9 Milliarden Dollar an Kapital auf. Zum Zeitpunkt des Börsengangs hatte Rivian lediglich 56 Elektro-Pick-ups der Modellreihe „R1T“ produziert und nur 42 ausgeliefert.
Wie bei anderen Jungfirmen tritt somit auch bei Rivian eine alte Börsenweisheit zutage: Am Kapitalmarkt wird eben die Zukunft gehandelt – nicht die Vergangenheit und nicht die Gegenwart. Es sind also vor allem Wachstumsfantasien, die die Rivian-Aktie in die Höhe trieben.
Hoffnung auf Elektro-Pick-ups
Neben dem allgemeinen Boom der Elektromobilität kann das US-Unternehmen durchaus eine interessante Story vorweisen. 2018 stellte Rivian seine ersten vollelektrischen Fahrzeuge vor – den oben erwähnten Pick-up „R1T“ und den SUV „R1S“. Beide Modelle sollen in Sachen Leistung und Reichweite neue Maßstäbe setzen.
Vor allem die Pick-ups gelten in den USA traditionell nicht nur als einfache Fahrzeuge, sondern als Lebensgefühl. Entsprechend erwarten Branchenkenner, dass auch die Nachfrage nach elektrifizierten Pritschenautos in den kommenden Jahren durch die Decke gehen wird. Davon will Rivian profitieren.
Rivian zieht Know-how von Tesla ab
Hinzu kommt, dass das Unternehmen offenbar auch branchenintern für Begehren sorgt. Vielleicht haben Sie es auch schon in den Medien gelesen: Der große Elektro-Konkurrent Tesla beklagt seit Jahren, dass Rivian qualifiziertes Personal vom Konzern abwerbe.
Im Umkehrschluss heißt das: Offenbar sehen die ehemaligen Tesla-Mitarbeiter durchaus Potenzial in Rivian.
Amazon sorgt für Großbestellung
Erklären lässt sich die hohe Bewertung nicht zuletzt mit den Investoren. Seit Gründung des Unternehmens konnte Rivian etliche zahlungskräftige Firmen auf seine Seite ziehen. Die beiden bekanntesten sind wohl Amazon und Ford.
Allein für den E-Commerce-Riesen Amazon will Rivian 100.000 speziell entwickelte E-Lieferwagen produzieren, die mit etlichen Assistenzsystemen und Kameras ausgestattet sind und somit eine besonders hohe Sicherheit bieten sollen. Für Rivian ist die Mega-Bestellung des Tech-Giganten ein Vertrauensbeweis, der von der Börse natürlich entsprechend belohnt wird.
Ford will lieber eigene Wege gehen
Doch die Abhängigkeit von der Zukunftsfantasie birgt auch Fallstricke. Denn Ankündigungen können auch wieder rückgängig gemacht werden. Neustes Beispiel: Ford: Der US-Autobauer hatte mehr als eine Milliarde Dollar in Rivian investiert. Anschließend wollten die beiden Unternehmen bei Elektroautos eigentlich eng kooperieren.
Vor wenigen Tagen hat Ford diese Kooperation nun gecancelt. Man habe beschlossen, dass man in Zukunft eigene Fahrzeuge entwickeln werde, so der Konzern aus Michigan. Ford begründet die Entscheidung mit der Komplexität, die erforderlich wäre, um die elektrische Architektur eines anderen Unternehmens in die eigenen Systeme zu integrieren.
Immerhin: Obwohl eine operative Zusammenarbeit nun vom Tisch ist, will der Autoriese in dem Start-up investiert bleiben. Nichtsdestotrotz reagierte die Rivian-Aktie auf die Ford-Meldung negativ und musste zum Ende der letzten Woche einige Prozentpunkte einbüßen.
Starke Nerven gefragt
Wollen Sie in Rivian investieren, müssen Sie als Anleger solche Rücksetzer jedenfalls fest einkalkulieren. Denn: Hoffnung ist zwar schön – sie kann aber auch trügerisch sein und sich sehr schnell in Enttäuschung verwandeln.
Ob die hohe Börsenbewertung am Ende gerechtfertigt ist, wird die Zeit zeigen. Bis dahin dürfte die Rivian-Aktie hoch volatil bleiben.