Neobroker: Warum Sie da vorsichtig sein sollten
Kürzlich hat mich ein junger Anleger angesprochen: Es sei doch Geldverschwendung, mein Depot immer noch bei einer etablierten Bank zu unterhalten. Denn: Es gehe viel billiger. Er habe seine Wertpapiere bei einem Neobroker. Da zahle er keine Depot-Gebühren und die meisten Wertpapier-Orders seien kostenfrei oder mit 1 € sehr günstig.
Zum Hintergrund: Neobroker sind sehr schlanke, vorwiegend fürs Smartphone optimierte Handelsplattformen oder Depot-Banken. Dazu zählen beispielsweise Trade Republic, N26, Smartbroker oder Traders Place.
Vielleicht haben Sie sich solche Ratschläge auch schon anhören müssen. Und zugegeben: Das Kostenargument ist nicht von der Hand zu weisen. Trotzdem bin ich fest überzeugt davon, bei einer etablierten Depot-Bank (noch) besser aufgehoben zu sein. Die Gründe dafür erläutere ich Ihnen gerne heute hier im „Schlussgong“.
Es fehlen grundlegende, wenngleich nicht alltägliche Services
Es stimmt schon: Bei Neobrokern können Sie Wertpapiere supergünstig ordern, und die Depot-Führung kostet in der Regel nichts. Standardprozesse, die sich über die entsprechende Smartphone-App in Gang setzen lassen, funktionieren üblicherweise auch sehr gut. So zum Beispiel das Ordern von Wertpapieren oder das Anlegen eines ETF-Sparplans.
Eingeschränkt ist oft die Auswahl an Aktien und ETFs. Aber auch hier gilt: Normalerweise können Sie die meisten Wertpapiere, die Sie haben wollen, problemlos ordern. Warum rate ich Ihnen trotzdem von Neobrokern ab? Ganz einfach: Weil es bei bestimmten Services oft hapert. Es geht um Services, die in keinem Broker-Vergleich auftauchen und die auch nicht alltäglich sind. Womöglich aber sind Sie als Depot-Inhaber (oder Ihre angehörigen) dringend darauf angewiesen.
Von welchen Problemen Nutzer berichten
Folgende Services halte ich für grundlegend, und diese bieten einige Neobroker gar nicht an. Oder mangels Erreichbarkeit schafft es ein Depot-Inhaber nicht, sie einzufordern oder einfach nur seine Ansprüche durchzusetzen. Beispiele:
- Erhalt der nötigen Unterlagen zur Rückforderung von Quellensteuer: Bei ausländischen Unternehmen ist der Quellensteuer-Einbehalt oft zu hoch. Sie haben einen Erstattungsanspruch gegen das betreffende Land (z. B. Norwegen, Österreich). Diesen können Sie aber nur geltend machen, wenn Sie die nötigen Steuerdokumente vom Broker bekommen. Bei vielen Neobrokern klappt das nicht.
- Einrichtung einer Konto- und Depotvollmacht: Das empfehle ich Ihnen dringend für Fälle, in denen Sie als Depot-Inhaber nicht handlungsfähig sein sollten. Mit einer solchen Vollmacht geben Sie einem Angehörigen bzw. einer Person Ihres Vertrauens Zugriff auf Ihr Depot oder Verrechnungskonto. Der oder die betreffende kann dann stellvertretend für Sie handeln. Die Einrichtung ermöglichen nicht alle Neobroker. Und selbst wenn es möglich ist, gibt es bei Verwendung der Vollmacht oft Probleme.
- Abwicklung von Erbfällen: Angenommen, ein Depot-Inhaber verstirbt. Selbst wenn Sie eine Vorsorgevollmacht über den Tod hinaus oder gar einen Erbschein haben, kann es Ihnen schwerfallen, Zugriff auf die Wertpapiere und ggf. das Kontoguthabens zu bekommen.
- Reklamationen nach Fehlern: Ob nun eine Wertpapierorder falsch ausgeführt wurde, die Gutschrift eines Verkaufserlöses nicht klappt oder eine Zinsgutschrift nicht verbucht wird. Wer einen Neobroker anmailt, erhält zumeist eine Antwort, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz formuliert wurde, im konkreten Fall aber nicht weiterhilft. Kundenservice? Fehlanzeige!
Ein Beispiel aus der Praxis: Teilweise berichten Kunden von Fehlläufern vierstelliger Summen, die nach kurzfristiger IBAN-Änderung bei einem Neobroker nach Erhalt seiner Bankzulassung nicht auf dem Verrechnungskonto verbucht wurden. Sie können sich vorstellen, welche Katastrophe es ist, wenn ein Neobroker dann keinen verlässlichen, erreichbaren Kundendienst hat.
Mein Fazit: Was nichts kostet, ist oft nichts wert
Meine ganz persönliche Einschätzung zu diesem Thema: Auf kostenfreie Depot-Führung und Orders zum Nulltarif kann ich als Value-Anleger mit relativ wenigen Transaktionen verzichten, wenn ich nur weiß, dass mein Geld und meine Wertpapiere in guten Händen sind und dass ich im Problemfall jemanden erreiche, der sich der Sache annimmt.
Schaut man sich die Kundenbewertungen von Neobrokern an, fällt auf: Viele Neukunden sind begeistert, wenn sie das Depot erst frisch eröffnet und die oft sehr ansprechende App für Standardfälle erstmals genutzt haben. Kunden, bei denen es aber Grund zur Reklamation gibt oder die versuchen, nach Krankheit oder gar bei Todesfällen mit dem Neobroker in Kontakt zu treten, merken erst, was da im Argen liegt. In vielen Fällen gilt daher aus meiner Sicht: Tun Sie sich das nicht an, sondern nehmen Sie lieber die Entgelte einer etablierten Depot-Bank in Kauf, um einen ordentlichen Service zu erhalten.