Wirecard-Skandal erhält politische Dimension

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Der Skandal um die Pleite des Finanzdienstleisters Wirecard gewinnt zunehmend eine politische Dimension. Im Fokus der Kritik stehen dabei einerseits das Bundeskanzleramt und andererseits das Bundesfinanzministerium.

So soll Bundeskanzlerin Angela Merkel im Herbst vergangenen Jahres im Zuge einer Auslandsreise für einen Markteintritt von Wirecard auf dem chinesischen Markt geworben haben – ein Vorgang, der grundsätzlich nicht ungewöhnlich ist. Gerade Dax-notierte Konzerne oder Industriezweige, die zigtausende Arbeitsplätze sichern, werden in der Regel auch auf internationaler Bühne politisch unterstützt.

Kanzleramt und Finanzministerium unter Druck

Vorausgegangen war der Dienstreise ein Gespräch mit Karl-Theodor zu Guttenberg. Der ehemalige Verteidigungsminister, der wegen nachweislicher Unregelmäßigkeiten in seiner Doktorarbeit zurückgetreten war, war im Herbst 2019 als Berater für Wirecard tätig. Verließ man sich also im Kanzleramt allzu sehr auf gute alte Bekanntschaften oder den exzellenten Ruf, den Dax-Unternehmen üblicherweise genießen? Hat man sich zu wenig mit den tatsächlichen Geschäftsgebaren von Wirecard auseinandergesetzt?

Diese Frage wird auch mit Blick auf das Bundesfinanzministerium lauter. Sowohl der derzeitige Finanzminister Olaf Scholz als auch sein Amtsvorgänger Wolfgang Schäuble, der heutige Bundestagspräsident, sind kritischen Hinweisen offenbar nicht nachgegangen. Die britische Financial Times hatte bereits vor längerer Zeit über Unregelmäßigkeiten bei Wirecard recherchiert und berichtet. In der Konsequenz wurde jedoch nicht Wirecard genauer unter die Lupe genommen, stattdessen wurden die britischen Journalisten angezeigt.

Bafin überfordert, Deutsche Börse verstaubt?

In der Kritik steht zudem die Finanzaufsichtsbehörde Bafin – war sie schlichtweg überfordert mit der Überprüfung eines modernen, digitalisierten Finanzdienstleistungsunternehmens, dessen Geschäftsmodell sich fundamental unterscheidet von der Sparkassenfiliale an der Ecke? Sachkundige Experten, die sich mit digitalen Zahlungsprozessen en Detail auskennen, scheinen jedenfalls weniger involviert gewesen zu sein als die klassischen Beamten, die man aus deutschen Behörden allgemein kennt.

Unterdessen gerät auch die Deutsche Börse zunehmend unter Druck: Während etliche andere Handelsplätze die Wirecard Aktie inzwischen rausgeschmissen haben, ist die Karteileiche im Dax nach wie vor gelistet. Auch das klingt „typisch deutsch“: Die nächste turnusmäßige Überprüfung der Dax-Zusammensetzung steht erst im September auf dem Plan. Kurzfristige Reaktion auf aktuelle Entwicklungen? Fehlanzeige. Nun aber erwägt man offenbar auch in Frankfurt, die Wirecard Aktie schon früher aus dem deutschen Leitindex zu entfernen.

Marsalek mutmaßlich in Minsk statt Manila

Entfernt hat sich auch der ehemalige Vizechef von Wirecard, Jan Marsalek – und zwar bereits am Tag seiner Freistellung, wie inzwischen bekannt wurde. Er hat sich ins Ausland abgesetzt, man vermutete ihn zunächst auf den Philippinen. Angeblich sei er dort auf der Suche nach jenen ominösen 1,9 Milliarden Euro, die zwar in den Wirecard-Bilanzen, aber sonst nirgendwo auftauchten.

Inzwischen mehren sich die Hinweise, dass philippinische Beamte die Ein- und Ausreisedaten manipuliert hatten – und Marsalek sich mitnichten auf den Philippinen, sondern in Russland oder Weißrussland aufhält. Seine Einreise nach Minsk ist dokumentiert, eine Ausreise bislang jedoch nicht. Zudem werden Marsalek Kontakte zum russischen Geheimdienst nachgesagt.

Der Fall Wirecard wächst sich aus zu einem Wirtschaftskrimi erster Güte mit Verstrickungen in die obersten Etagen der Politik – kein Wunder, dass inzwischen ein Regisseur angekündigt hat, den Fall verfilmen zu wollen. Bis zu einer vollständigen Aufklärung dürfte allerdings noch einige Zeit vergehen.