Volkswagen-Aktie: Unfassbar – die andere Seite der Medaille!
Wo Licht ist, ist auch Schatten: Diese alte Weisheit trifft wohl auf keinen anderen deutschen Börsenkonzern so stark zu wie auf Volkswagen. Zwar gibt sich der Autobauer aktuell mit seinen Engagements rund um die Elektromobilität die größte Mühe, sein angekratztes Image aufzupolieren. Hipp, jung, verantwortungsbewusst und zukunftsweisend: Das sind die Werbebotschaften des Konzerns.
Doch trotzdem müssen wir uns heute einmal mit der anderen Seite der Medaille beschäftigen. Als Anleger sollten Sie diese jedenfalls kennen, bevor Sie ein entsprechendes Investment tätigen. Nur so können Sie eine ganzheitliche Investitionsentscheidung treffen.
Neuer Uiguren-Bericht macht fassungslos
Um was geht es? Volkswagen geriet in den letzten Tagen gleich aus zwei Richtungen ins Kreuzfeuer. Hintergrund: Kürzlich hatte unter anderem der „Spiegel“ einen Bericht zitiert, der belegt, dass in der chinesischen Provinz Xinjiang Hunderttausende Uiguren in sogenannte Umerziehungslager gesteckt werden. Laut Menschenrechtlern werden die betroffenen Personen der muslimischen Minderheit dort misshandelt, gefoltert und zu Sklavenarbeit gezwungen.
Zwar hatte es in den letzten Jahren bereits ähnliche Berichte über die Zustände in Xinjiang gegeben. Doch der neue Bericht stellt in seiner Deutlichkeit, Brutalität und Authentizität diese in den Schatten. Entsprechend muss sich nun auch Volkswagen abermals erklären.
VW will an Fabrik in Xinjiang festhalten
Denn: Der Autobauer betreibt zusammen mit seinem chinesischen Partner SAIC in Xinjiang eine Fabrik. Kritiker hatten Volkswagen bereits vor Jahren vorgeworfen, dass man in Xinjiang mit Betrieben kooperiere, die von Sklavenarbeit profitierten. Der Dax-Konzern wies das stets entschieden zurück.
Und auch jetzt will das Unternehmen von dem augenscheinlichen Zivilisationsbruch in China offenbar nichts wissen. Vor wenigen Tagen kündigte VW-Boss Herbert Diess an, dass man die Fabrik in Xinjiang nicht schließen werde. Im Gegenteil: Der Manager betonte, dass das Werk dazu führen werde, dass sich die Situation für die Uiguren verbessere. Wie genau er sich das vorstellt, ist jedoch nicht überliefert.
Ohne China droht Volkswagen die Verzwergung
Tatsächlich hat Volkswagen zumindest aus betriebswirtschaftlicher Sicht kaum eine andere Wahl, als an China festzuhalten. VW ist in der Volksrepublik Branchenprimus. Entsprechend wichtig ist der chinesische Markt für die geschäftliche Entwicklung des Konzerns.
Würde VW das Ende der Fabrik in Xinjiang bekannt geben, würden wohl auch weitere chinesische Produktionsstandorte auf der Kippe stehen. Das hätte massive Auswirkungen auf den Aktienkurs.
Bundesregierung zieht Investitionsgarantien zurück
Aus dem Schneider ist Volkswagen jedenfalls noch lange nicht. Anfang der Woche kündigte das deutsche Wirtschaftsministerium an, dass man einer in Xinjiang tätigen Firma Investitionsgarantien verwehrt habe. Laut Medienberichten soll es sich bei der „Firma“ um VW handeln.
Investitionsgarantien sind seit Jahrzehnten ein etabliertes Außenwirtschaftsförderinstrument der Bundesregierung. Sie sichern förderungswürdige deutsche Direktinvestitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern gegen politische Risiken ab.
VW will laut Medienberichten nun trotzdem an seinen Investitionsplänen in China festhalten – auch ohne Rückendeckung der Bundesregierung. Im schlimmsten Falle könnte Volkswagen nun ein finanzielles Desaster drohen, zum Beispiel wenn die Kommunistische Partei zu dem Entschluss gelangte, bei Volkswagen die Daumenschrauben anzuziehen.
Brasilien: Justiz ermittelt wegen Menschenrechtsverletzungen
Doch China ist beileibe nicht das einzige Problemfeld, mit dem VW aktuell zu kämpfen hat. Auch aus Brasilien gab es Anfang der Woche ungute Nachrichten. Laut Recherchen von NDR, SWR und der „Süddeutschen Zeitung“ ermittelt die brasilianische Justiz derzeit gegen die dortige VW-Tochter.
Die Vorwürfe könnten schwerer kaum wiegen: Sklavenarbeit, Menschenhandel und systematische Menschenrechtsverletzungen in Hunderten Fällen. Die Vorwürfe beziehen sich laut den Medienberichten auf den Zeitraum zwischen 1974 und 1986.
Damals hatte VW am Rande des Amazonasbeckens eine Rinderfarm aufgebaut. Den Auftrag erhielt man direkt vom damaligen brasilianischen Militärregime. Offenbar hatte sich Volkswagen durch den Einstieg ins dortige Fleischgeschäft Steuererleichterungen ergattern wollen.
Doch wie NDR und Co. nun berichten, setzte Volkswagen für den Bau der Farm Leiharbeiter ein, die dort teils mit vorgehaltener Waffe zur Arbeit gezwungen wurden. Weiterhin ist die Rede von Vergewaltigungen, Folter, Scheinerschießungen und der Verhinderung medizinischer Betreuung.
Mitte Juni muss VW in Brasilia antreten
Zwar sollen diese Verbrechen nicht von VW-Angestellten, sondern von externen Mitarbeitern begangen worden sein. Doch der Konzern muss sich nun trotzdem der Aufarbeitung stellen. Schon am 14. Juni muss das Unternehmen vor dem Arbeitsgericht in der Hauptstadt Brasilia antreten.
Ob VW in dieser Sache verurteilt wird und wie hoch mögliche Entschädigungszahlungen dann ausfallen könnten, ist natürlich kaum abschätzbar. Fest steht: Dem Ruf des Konzerns dürfte das Ganze abermals nicht zuträglich sein, auch wenn die mutmaßlichen Vorkommnisse mehr als 40 Jahre her sind.