Thyssenkrupp-Aktie im Check: Stahlkonzern am Abgrund
Es ist ein Aktienchart, der Kopfzerbrechen bereitet (Stand: 26.11.2024, 9:30 Uhr).
Quelle: www.aktienscreener.com
Sie sehen die Entwicklung der Thyssenkrupp-Aktie seit Ende 2013. In den letzten 11 Jahren hat der deutsche Traditionskonzern an der Börse demnach 75 % an Wert eingebüßt. Vergleicht man den aktuellen Kurs mit den Hochständen aus 2007, beläuft sich das Minus gar auf 92 %.
Es ist eine lange Geschichte des Niedergangs, die 2008 mit der Finanz- und Wirtschaftskrise begann und mit milliardenschweren Fehlinvestitionen in den USA und Brasilien fortgesetzt wurde. 2020 hatte dann die Corona-Pandemie den Industriekonzern zunächst massiv in Mitleidenschaft gezogen – doch die anschließend aufkeimende Hoffnung wurde durch die Energiekrise und die jüngsten Konjunkturprobleme in Deutschland im Keim erstickt.
Thyssenkrupp zückt Rotstift: 40 % der Stahl-Belegschaft betroffen
Nun, Ende 2024, stehen der Konzern, dessen Management, die Investoren und nicht zuletzt die Belegschaft vor einem Scherbenhaufen. Bestimmt haben Sie in den Medien auch schon gelesen, dass Thyssenkrupp vor wenigen Tagen erneut einen massiven Kahlschlag in seiner kriselnden Stahlsparte angekündigt hatte. Demnach sollen 11.000 Arbeitsplätze von insgesamt 27.000 Stellen gestrichen oder ausgelagert werden. Es sind also etwa 40 % von Thyssenkrupps Stahl-Belegschaft betroffen.
Zuvor hatte Konzernchef Miguel López tiefrote Zahlen einräumen müssen. Allein im Geschäftsjahr 2023/24 (per Ende September) belief sich der Verlust auf rund 1,5 Milliarden Euro. Das Management begründete den erneuten Milliarden-Fehlbetrag insbesondere mit dem schwierigen Umfeld und der schwachen Stahlnachfrage vonseiten wichtiger Kundenbranchen. Darunter die Autoindustrie, der Maschinen- und Anlagenbau sowie die Bauwirtschaft. Der Auftragseingang sackte um 11 % auf 32,8 Milliarden Euro ab. Der Umsatz fiel um 7 % auf 35 Milliarden Euro.
Stahlproduktion auf Schrumpfkurs
Die Stellenstreichungen sind also eine direkte Reaktion auf die mangelnde Profitabilität der Stahlsparte. Heißt: Thyssenkrupp will in Zukunft kleinere Brötchen backen, um Kosten zu sparen und das Überangebot auf dem Markt zu reduzieren.
5.000 Stellen sollen demnach bis 2030 in der Produktion und Verwaltung wegfallen. Außerdem sollen weitere rund 6.000 Arbeitsplätze durch Ausgliederung oder den Verkauf von Geschäftsanteilen an externe Unternehmen überstellt werden. Insgesamt will das Management die Produktionskapazitäten im Stahlbereich auf 8,7 bis 9 Millionen Tonnen pro Jahr senken. Derzeit sind es rund 11,5 Millionen Tonnen.
China flutet Europa mit billigem Stahl
Thyssenkrupp reagiert damit auch auf die Dumping-Offensive Chinas. Diese ist – neben der schwächelnden Konjunktur und der immer noch hohen Energiepreise hierzulande – ein maßgeblicher Grund für die fehlende Profitabilität des Industriekonzerns.
Hintergrund: China wird in diesem Jahr wohl mehr als 100 Million Tonnen des Werkstoffs exportieren – so viel wie seit 2016 nicht mehr. In der Volksrepublik herrscht nach wie vor eine schwerwiegende Immobilienkrise, die die dortige Stahlnachfrage belastet.
Wegen des rückläufigen Inlandsbedarfs exportieren die chinesische Akteure ihre Stahl-Lagerbestände im großen Stil ins Ausland – vorwiegend nach Südostasien, zuletzt aber immer stärker auch nach Europa. In der Folge kommt es zu einem Überangebot, weshalb die Preise sinken. So ziemlich alle relevanten europäischen Stahlpreisindizes notieren derzeit deutlich unter 2023 und 2022. Das setzt die Margen der hiesigen Hersteller massiv unter Druck.
Zudem monieren europäische Akteure wie Thyssenkrupp die mutmaßlich hohe Subventionsquote der Importe nach Europa. Demnach pumpt die chinesische Regierung Staatsgelder in die dortigen Stahlkonzerne, um deren Produktion trotz Immobilienkrise aufrechtzuerhalten oder gar zu erhöhen. Der aus China stammende Stahl ist somit nicht nur wegen der dort lukrativeren Produktionsbedingungen günstiger, sondern offenbar auch wegen der ausgiebigen Staatshilfe.
Somit ist die Stahlkrise in Europa auch ein handelspolitisches Thema. Entsprechend fordert die europäische bzw. die deutsche Industrie von der EU höhere Zölle auf Stahlprodukte aus China, um die heimische Produktion zu schützen.
Transformation inmitten der Krise: Křetínský als Rettungsanker?
Doch die Problemliste von Thyssenkrupp ist damit noch nicht zu Ende. Während der Konzern tief in der Krise steckt, gilt es gleichzeitig auch die politisch forcierte Transformation zu bewältigen. Thyssenkrupp soll ähnlich wie andere deutsche Stahlproduzenten umfangreich dekarbonisiert werden (Stichwort: grüner Stahl). Hierfür müssen jedoch hohe Milliardeninvestitionen in neue Anlagen und Prozesse getätigt werden – für ein Geschäft, das wegen des teuren Grünwasserstoffs auf absehbare Zeit nicht profitabel sein dürfte.
Deshalb pumpt der deutsche Staat hohe Mittel in Thyssenkrupp und andere Anbieter, um deren Transformation zumindest anteilig zu finanzieren. Abhilfe soll zudem der tschechische Milliardär Daniel Křetínský schaffen. Dieser hatte sich kürzlich mit seiner EP Corperate Group (EPCG) zu 20 % an Thyssenkrupps Stahlsparte beteiligt und soll nach Ansinnen des Industriekonzerns auf 50 % erhöhen.
Die jüngste Ankündigung der Stellenstreichungen dient also auch dazu, in den Verhandlungen auf Křetínský zuzugehen und diesen zu einer Steigerung seiner Beteiligung zu bewegen. Der Milliardär hatte mehrmals die historisch gewachsene Kostenstruktur von Thyssenkrupp kritisiert, aber auch mögliche Synergien betont.
Křetínskýs Unternehmen EPCG betreibt in Europa diverse Energie- und Infrastruktur-Assets. Darunter Pipelines, Gaskraftwerke, Speicher, Stromnetze, zunehmend aber auch Ökostrom-Projekte. Das Kalkül: EPCG soll möglichst günstige und perspektivisch auch nachhaltige Energie an Thyssenkrupp liefern – was zum einem die Gewinnmargen und zum anderen die Dekarbonisierung des deutschen Stahlprimus signifikant unterstützen könnte.
Mein Fazit für Sie
Aus Sicht der Investoren ist der jüngst angekündigte Kahlschlag ein positives Signal, auch wenn sich der Konflikt zwischen Management und Betriebsräten dadurch wohl verschärfen dürfte – was zunächst weiteres Chaos bedeuten könnte.
Dass Thyssenkrupp seine Kostenstruktur angeht und die Produktionskapazitäten reduziert, ist angesichts der strukturellen Konjunktur- und vor allem Industrieprobleme in Deutschland sowie der chinesischen Dumping-Offensive meiner Meinung nach folgerichtig.
Für die Aktie ist der Weg trotzdem noch sehr weit und steinig. Das Unternehmen hat massive Herausforderungen zu bewältigen. Mit Thyssenkrupp steht und fällt gar eines der historisch wichtigsten Industriesegmente Deutschlands.
Wollen Sie also den aktuell niedrigen Aktienkurs zum Einstieg nutzen, sollten Sie nicht nur viel Geduld mitbringen, sondern auch starke Nerven.