Siemens Aktie: Zwischen Profitstreben und Klimagewissen
Siemens steckt in einem Dilemma. Das Unternehmen soll Signalanlagen für eine Zugverbindung nach Australien liefern, die im Zuge eines riesigen Kohleminenprojekts geplant ist. Über die Trasse soll die Kohle von der Mine zum Hafen transportiert werden. Einnahmen für Siemens: 18 Millionen Euro. Geld, das der Großkonzern mitten im Umbau gut gebrauchen kann.
Doch das lukrative Geschäft hat ein Imageproblem. Die Kohlekraft, von der australischen Regierung durchaus unterstützt, gilt als ebenso klimaschädlich wie überholt. Gerade in Australien wären Alternativen wie Windkraft- oder Solaranlagen gut vorstellbar. Stattdessen verzeichnet das Land der Koalas und Kängurus die höchsten Pro-Kopf-Emissionen der Welt: Für ein Land mit vergleichsweise dünner Besiedelung pustet Australien ziemlich viele Schadstoffe in die Atmosphäre.
Flächenbrände entfachen neue Diskussionen
Erhöhte Brisanz erhält das Thema durch die anhaltenden Flächenbrände, die seit Oktober im Südosten des Kontinents wüten. Nach dem heißesten und trockensten Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen hat die Feuersaison deutlich früher begonnen als üblich und schon jetzt eine wesentlich größere Fläche verbrannt als in früheren Jahren.
Mehr als zwei Dutzend Menschen sind in den Flammen bereits ums Leben gekommen, darunter auch mehrere Feuerwehrleute. Zudem wurden hunderte Millionen Tiere getötet. Dass die apokalyptischen Ausmaße der Feuersbrunst auch mit dem Klimawandel und der vom Menschen verursachten Erderwärmung zusammenhängen, hat nach langem Zögern inzwischen selbst die australische Regierung eingeräumt. An ihrer Energiepolitik mit der Kohlepräferenz will sie trotzdem festhalten.
Siemens-Chef trifft „Fridays for Future“-Aktivistin
Und hier kommt wieder Siemens ins Spiel. Im Gegensatz zu Australien hat sich in Deutschland schon länger mehrheitlich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Klimaschutzziele und die Begrenzung der Erderwärmung auf unter 2 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter sinnvoll sind und man deshalb dringend auf Alternativen zu fossilen Energieträgern setzen sollte.
In der vergangenen Woche traf sich Siemens-Chef Joe Kaeser persönlich zu einem Gespräch mit Luisa Neubauer. Sie ist eines der bekanntesten deutschen Gesichter der „Fridays for Future“-Bewegung und laut Kaeser eine „angenehme Persönlichkeit“. Das Gespräch wurde von beiden Seiten positiv beschrieben. Dennoch lehnte Neubauer einen Aufsichtsposten bei Siemens ab, den ihr Kaeser nach dem Gespräch angeboten hatte. Zur Begründung hieß es, sie fürchte um ihre Unabhängigkeit als Klimaaktivistin, wenn sie in einer solchen Funktion den Interessen des Konzerns verpflichtet sei.
Siemens hält an Australien-Projekt fest
Dass der Schulterschluss zwischen Siemens und der Klimaschutzbewegung nur von kurzer Dauer war, zeigte sich zum Wochenauftakt. Während Kaeser laut Neubauer im persönlichen Gespräch das umstrittene Kohleprojekt in Australien nachträglich als „Fehler“ bezeichnet habe und sie davon ausgehe, dass er diesen revidieren werde, verkündete der CEO nun stattdessen, dass sich Siemens an seine Vertragspflichten gebunden sehe und die Technik daher wie geplant ausliefern werde.
Zugleich wolle man die eigene Beteiligung an „kritischen Projekten“ künftig „besser verstehen und frühzeitig erkennen“. Für den Siemens-Anteil am australischen Kohleminenprojekt kommt diese Einsicht aber offenbar zu spät.