Salzgitter-Aktie im Kurskeller: Deutschlands Stahl-Debakel

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Ohne Frage: Es ist ein Debakel. Am letzten Dienstag hatte der zweitgrößte Stahlkonzern Deutschlands, die Salzgitter AG, erneut eine Warnung für seine Aktionäre in petto. So schraubte das Management sowohl die Umsatz- als auch die Gewinnprognose nach unten.

Salzgitter AG mit Gewinnwarnung für 2024

Konkret soll der Umsatz im Geschäftsjahr 2024 nun zwischen 9,5 und 10 Milliarden Euro betragen. Zuvor hatte die Salzgitter AG hier noch 10 Milliarden in Aussicht gestellt. Das Management hat die Prognose also nach unten hin aufgebrochen. Wesentlich bitterer aber ist die Gewinnwarnung.

Inzwischen erwartet der Stahlkonzern ein operatives Ergebnis (EBITDA) in Höhe von 275 bis 325 Millionen Euro. Zuvor hatte man noch 400 bis 500 Millionen prognostiziert. Gleichzeitig soll das Vorsteuerergebnis ins Negative rutschen – mit einem Verlust zwischen 275 und 325 Millionen Euro. Hier hatte Salzgitter ursprünglich ein ausgeglichenes Ergebnis erwartet.

Es ist also durchaus harter Tobak, den das Management seinen Aktionären zumuten musste. Die Aktie selbst zeigte sich jedoch nahezu unbeeindruckt von der umfangreichen Gewinnwarnung, wie Sie im Chart sehen können (Stand: 23.10.2024, 10:00 Uhr, Börse Stuttgart):

Quelle: www.aktienscreener.com

Der ganz kleine gelbe Pfeil rechts markiert den schmalen Kursrückgang infolge der Gewinnwarnung vom Dienstag. Tatsächlich hatte die Salzgitter-Aktie in den letzten anderthalb Jahren schon massiv an Wert verloren, weshalb sich die Enttäuschung nun offenbar in Grenzen hielt. Der Konzern leidet wie auch dessen Konkurrent Thyssenkrupp unter einer schwierigen Stahlkonjunktur in Deutschland und Europa, was im Kurs längst eingepreist ist.

Deutschlands Stahlbranche in der Krise

Hierfür gibt es im Prinzip drei Gründe. Erstens: Die Energiekosten gerade in Deutschland sind im internationalen Vergleich immer noch ziemlich hoch. Vor allem der Gaspreis liegt nach wie vor deutlich über dem Niveau vor Beginn des Ukraine-Kriegs. Erdgas ist ein wichtiger Rohstoff in der Stahlproduktion.

Zweitens: Die Konjunktur hierzulande lahmt nach wie vor. Vor allem die Bauindustrie und der Autobau, beides traditionell große Stahlnachfrager, sind in der Krise. Insgesamt haben sich die Aussichten zuletzt noch einmal eingetrübt. Der Internationale Währungsfonds hat die Wachstumserwartungen für Deutschland kürzlich reduziert – sowohl für 2024 als auch für 2025. Gerade für die stark konjunkturabhängige deutsche Stahlbranche gibt es also enorme Herausforderungen.

Drittens: Doch während hiesige Stahlhersteller unter hohen Kosten leiden, überflutet China den europäischen Markt mit günstigen Produkten. Die Stahlexporte des Mega-Reichs erreichten kürzlich ein Achtjahreshoch. In der Volksrepublik herrscht nach wie vor eine schwerwiegende Immobilienkrise, die die dortige Stahlnachfrage belastet.

Wegen des rückläufigen Inlandsbedarfs exportieren die chinesische Akteure ihre Stahl-Lagerbestände im großen Stil ins Ausland – vorwiegend nach Südostasien, zuletzt aber immer stärker auch nach Europa. Das setzt die Margen der hiesigen Hersteller massiv unter Druck. Entsprechend fordert die europäische bzw. die deutsche Industrie von der EU höhere Zölle auf Stahlprodukte aus China, um die heimische Produktion zu schützen.

Die (sehr teure) Stahl-Wende

Doch das ist längst noch nicht alles. Denn: Die Salzgitter AG und die gesamte Branche in Europa stehen gleichzeitig noch vor ihrer historisch wohl größten Transformation. Die Stahlbranche soll in den kommenden Jahren umfassend dekarbonisiert werden. Die Herstellung des wichtigen Werkstoffs geht traditionell mit hohen CO2-Emissionen einher. Allein das Hüttenwerk Salzgitter des gleichnamigen Konzerns verursacht etwa 10 % der gesamten CO2-Ausstöße Niedersachsens.

Immerhin gibt es technologische Alternativen zum klassischen Herstellungsprozess. Die Salzgitter AG ist mit ihrem Projekt SALCOS einer der Vorreiter in dieser Sache. Im Mittelpunkt steht die sogenannte Direktreduktion. Dabei werden Eisenerz-Pellets in einen speziellen Schachtofen gegeben. In diesem wird das Eisenerz mit Wasserstoff reduziert. Heißt: Der Wasserstoff reagiert direkt mit dem Sauerstoff im Eisenerz und wandelt dieses in sogenannten Eisenschwamm um.

Diese Substanz, die nahezu aus reinem Eisen besteht, kann anschließend in einem Elektrolichtbogenofen und unter Zugabe von Schrott zu Stahl weiterverarbeitet werden. Der Clou: Beim Direktreduktionsverfahren entsteht im Unterschied zum klassischen Hochofen-Verfahren, bei dem durch den Einsatz von Kohle und Kohlenstoff flüssiges Eisen produziert wird, kein CO2, sondern Wasserdampf. Entsprechend weist der damit produzierte Stahl einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck auf und erhält das Prädikat „grün“.

Die Probleme: Der Aufbau dieses neuen Herstellungsverfahrens im kommerziellen Maßstab geht zum einen mit sehr hohen Anschaffungsinvestitionen einher. Zum anderen ist der dafür nötige grüne Wasserstoff erstens längst noch nicht in ausreichender Menge vorhanden und zweitens sehr teuer. Deshalb dürfte die Direktreduktion zunächst mit einem klimaschädlicheren Erdgas-Wasserstoff-Gemisch erfolgen.

Unterm Strich stellt die Dekarbonisierung der Stahlbranche also einen gigantischen Aufwand dar, den die Konzerne nun inmitten der Konjunkturkrise und des China-Dumpings bewältigen müssen. Zwar gibt es hierfür Unterstützung vom Staat, doch ein Selbstläufer ist das Ganze freilich nicht.

Salzgitter AG hält an Grünstahl-Strategie fest

Thyssenkrupp hatte kürzlich sein Grünstahl-Engagement daher in Frage gestellt und von der Politik noch mehr Unterstützung gefordert. Die Salzgitter AG zeigte sich nun aber von der Transformation überzeugt.

Der Umbau stehe nicht zur Diskussion, betonte Konzernchef Gunnar Groebler gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Salzgitter sei bei der Transformation führend und werde die Direktreduktionsanlage 2026 in Betrieb nehmen. Der Manager gab sich zuversichtlich, dass es einen Markt für grünen Stahl geben werde. „Wir spüren schon jetzt gute Resonanz. Viele Kunden wollen damit ihre Klimabilanz verbessern – auch, weil CO-Emissionen immer teurer werden“, konstatierte er.

Groebler richtete trotzdem einen Appell an die Bundesregierung, so schnell wie möglich die Rahmenbedingungen für grünen Stahl zu verbessern. Es brauche wettbewerbsfähige Energiepreise und große Mengen an Wasserstoff. Salzgitter erhält für sein Projekt SALCOS bereits 1 Milliarde Euro an Steuermitteln. Selbst investiert der Konzern nach eigenen Angaben ebenfalls 1 Milliarde – wohlgemerkt für die erste Ausbaustufe.

Mein Fazit für Sie

Inmitten der schwachen Stahlkonjunktur soll die Branche ihre bislang wohl größte Transformation bewältigen, was die Industrie gravierend überfordern könnte. Es bleibt nun abzuwarten, ob der deutsche Staat den Stahlkochern weiter entgegenkommen wird. Tatsächlich ist die Branche hierzulande nicht nur wichtig für die Wertschöpfungskette, sondern auch ein bedeutender Arbeitgeber. Die Politik dürfte also ein Interesse daran haben, die deutsche Stahlbranche über Wasser zu halten.

Dass die Salzgitter-Aktie alsbald zu alter Stärke zurückfinden wird, ist meiner Meinung nach jedoch unwahrscheinlich. Anleger müssen deshalb nach wie vor starke Nerven und viel Geduld mitbringen, wenn sie den aktuell schwachen Kurs zum Einstieg nutzen wollen.