Rezession: Hat Deutschland als Wirtschaftsstandort ausgedient?

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In der Europäischen Union wie auch in der Euro-Zone hat die Bundesrepublik Deutschland ein erhebliches Gewicht. Impulse aus Berlin und Paris können in Brüssel kaum ignoriert werden – basierend nicht zuletzt auf der enormen Wirtschaftskraft beider Länder.

Erst Pandemie, dann Energieschock

Doch es knirscht gehörig im Getriebe. In Frankreich schon seit Längerem, neuerdings aber auch in Deutschland. Zunächst war es die Corona-Pandemie, die den Dienstleistungssektor weitgehend lahmlegte, die Tourismus- und Reiseverkehrsbranche in gewaltige Schieflage brachte und weltumspannende Lieferketten von Industrieunternehmen auf eine harte Probe stellte. Kaum war hier das Gröbste überstanden, folgte die nächste Hiobsbotschaft: Der Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 erschütterte Europa bis ins Mark.

Deutschland wurde besonders hart getroffen. Immerhin hat die Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten ihre Aussöhnungspolitik in Richtung Osten mit tiefgreifenden wirtschaftlichen Verflechtungen verknüpft. Der Energiesektor war fast komplett auf Importe aus Russland ausgelegt. War diese wirtschaftliche Zusammenarbeit in früheren Krisenzeiten im Hintergrund still und verlässlich weitergelaufen, kam es nun bekanntlich zur Eskalation: Moskau drehte am Gashahn und am Ende flog in der Ostsee eine Pipeline in die Luft. Die Energiepreise sind seither explodiert. Zwar hat sich die darauffolgende Inflationsdynamik zuletzt wieder etwas beruhigt, doch die immensen Energiekosten bekommen Verbraucher beim Heizen bis heute zu spüren.

Harte Einschnitte für traditionsreiche Industriezweige

Noch deutlicher sind die Einschnitte für energieintensive Industrieunternehmen, etwa aus der Chemie- oder der Automobilbranche. Ihre Produktionskosten sind empfindlich in die Höhe geschossen, was nicht nur die Bilanzen belastet, sondern auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit einschränkt – denn anders als in Deutschland haben viele andere Länder, gerade auch Staaten wie China oder Indien, eben nicht mit derart explodierenden Energiepreisen zu kämpfen.

Hinzu kommen hohe Lohnkosten und gewerkschaftliche Mitbestimmungsrechte, die Deutschland als Standort für internationale Unternehmen weniger attraktiv erscheinen lassen. Bürokratische Hürden treffen dagegen oftmals die gesamte EU. Ein weiteres deutschlandspezifisches Problem besteht jedoch in der hohen Abgabelast für Sozialausgaben und Steuern, die hierzulande besonders hoch ausfallen.

OECD sieht Deutschland auf absteigendem Ast

Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – kurz OECD – stellt dem Wirtschaftsstandort Deutschland aktuell ein schwaches Zeugnis aus. Im Vergleich zu anderen Industrienationen entwickelt sich die Konjunktur in der Bundesrepublik bedeutend schlechter. Frankreich, Italien und Spanien etwa dürfen sich laut dem Ausblick der OECD im laufenden Jahr über ein Wirtschaftswachstum zwischen 0,8 und 2,8 Prozent freuen.

Für die USA rechnet die Organisation mit einem Plus von 2,6 Prozent und in China dürfte das Bruttoinlandsprodukt 2024 um 4,9 Prozent steigen. Lediglich in Deutschland und Japan droht eine Nullrunde – und im kommenden Jahr dürfte sich die japanische Wirtschaft besser erholen als die deutsche, so die aktuelle Einschätzung der OECD.

Ist diese Krise erst der Anfang?

Es könnte erst der Anfang sein einer noch viel umfassenderen Krise. Der Renteneintritt der Babyboomer-Generation hat gerade erst begonnen. In den kommenden 10 Jahren werden Millionen heutiger Arbeitskräfte in Rente gehen. Die Renten steigen, die Lebenserwartung auch, zugleich sinkt die Zahl derjenigen Arbeitnehmer, die in die Sozialkassen einzahlen. Auch mit Blick auf die zu erwartende Pflegebedürftigkeit wurde noch kein wirksames politisches Rezept gefunden. Schon heute mangelt es an qualifiziertem Personal in der Alten- und Krankenpflege ebenso wie in der Kinderbetreuung oder an den Schulen.

Ohne gezielte Zuwanderung in den hiesigen Arbeitsmarkt werden sich diese Herausforderungen absehbar nicht lösen lassen. Angesichts eines Erstarkens der politischen Rechten und den Fliehkräften innerhalb des parlamentarischen Parteiensystems bleibt ungewiss, ob Deutschland als Wirtschaftsstandort, Industrienation und Exporteur mit exzellentem Ruf seiner Produkte über die 2030er Jahre hinaus wird behaupten können.