Autowerte unter Druck: Schwarzer September für Deutschlands Vorzeigebranche

Inhaltsverzeichnis

Es war ein schwarzer September für Deutschlands Automobilbranche. Reihenweise hagelte es Gewinnwarnungen – teilweise bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate.

So schraubte Mercedes-Benz zunächst im Juli und nun noch einmal im September die Prognose für das laufende Jahr nach unten. Gleiches gilt für Volkswagen, wo am vergangenen Freitagabend ebenfalls eine neuerliche Gewinnwarnung für Aufsehen sorgte. Bei BMW streicht man ebenfalls die Erwartungen für das laufende Jahr zusammen. Bei Zulieferfirmen wie Continental oder Bosch sieht es kaum besser aus. Doch worin liegen die Ursachen für die schwache Entwicklung?

Haben sich deutsche Autobauer zu sehr auf China verlassen?

Tatsächlich gibt es einige Parallelen bei der Problemanalyse der Autobauer – und darüber hinaus einige singuläre Aspekte, die den Niedergang jeweils begünstigen. Zu den Gemeinsamkeiten zählt zweifelsohne die Absatzschwäche in Europa und den USA, die nun auch noch garniert wird mit einer Konjunkturdelle im Reich der Mitte.

Jahrelang galt China als Wachstumsmarkt Nummer eins, ein Drittel und mehr der Gesamtverkäufe deutscher Autobauer spielten sich dort ab. Doch der starke Fokus auf das China-Geschäft rächt sich nun in doppelter Hinsicht. Zum einen lässt die Kauflaune nach, Immobilienkrise und Konjunkturschwäche sorgen für ausbleibende Autokäufe. Zum anderen aber hat sich auch der Geschmack der Zielgruppe deutlich verändert: Viel stärker als in Europa sind in China seit einigen Jahren Elektro- und Hybridfahrzeuge gefragt, inzwischen machen die teilweise oder vollelektrisch angetriebenen Autos rund ein Drittel des Gesamtmarktes aus.

Im Elektrosegment spielen deutsche Marken keine Rolle

Deutsche Hersteller sind dabei jedoch kaum zu finden. Sie haben erst spät angefangen mit der Umstellung ihrer Flotte auf Elektroantrieb, verfügen nur über wenige Modelle – und die schneiden im Vergleich zur Konkurrenz oft schlechter ab. Im Premiumsegment hat der US-Pionier Tesla die alteingesessenen Hersteller längst abgehängt, High-End-Elektrofahrzeuge mit umfassenden Assistenz- und Entertainmentsystemen tragen das ikonische T im Logo.

Zugleich herrscht eine große Nachfrage im Low-Budget-Segment, das von deutschen Herstellern praktisch überhaupt nicht bedient wird. Hier haben vor allem chinesische Hersteller wie BYD die Nase vorn. Ein Elektrofahrzeug für einen Einstiegspreis unter 25.000 Euro sucht man bei BMW, Mercedes-Benz und selbst Volkswagen bis heute vergeblich.

Strategische Fehlentscheidungen – verschärft durch Chinas Konjunkturschwäche

Dieser Mix aus äußeren, konjunkturbedingten Einflüssen und selbstverschuldeten strategischen Fehlentscheidungen der Vergangenheit kostet die deutschen Autobauer nun Marktanteile in China und letztlich auch Gewinne. Hinzu kommen größere Rückrufaktionen, die in diesem Jahr vor allem BMW belastet und einen nicht unerheblichen Anteil zur Gewinnwarnung beigetragen haben: Wegen anhaltender Probleme mit Bremssystemen des Zulieferers Continental, verbaut in weltweit mehr als 1,5 Millionen Fahrzeugen, fallen immense Kosten an.

Zunächst muss festgestellt werden, welche Fahrzeuge überhaupt betroffen sind – dabei geht es wohl nur um einen Bruchteil der Autos, die dennoch alle zur Diagnose vorgeführt werden müssen. Im nächsten Schritt folgt die Reparatur – oder, im Falle der USA und Chinas, der komplette Austausch des gesamten Bremssystems, so schreiben es die zuständigen Behörden in beiden Ländern vor.

BMW mit Logistikproblemen: Zweiter Produktionsstop in Dingolfing

Hinzu kommt ein Auslieferungsstopp für hunderttausende Fahrzeuge, die fertig produziert bei BMW auf Halde stehen und zunächst überprüft werden müssen. Dies führte unter anderem zu einem einwöchigen Produktionsstopp in der Fabrik am Hauptstandort Dingolfing – weil schlichtweg kein Platz mehr vorhanden war für weitere Fahrzeuge. Sehr zum Ärger der Kunden, die umso länger auf ihre Neuwagen warten müssen.

Auch in dieser Woche stehen in Dingolfing die Bänder still, diesmal allerdings mit Ansage. Begründet wird der Schritt durch BMW mit der allgemein schwächelnden Nachfrage, sodass man die Woche rund um den Feiertag am Donnerstag für einen Ausstand nutzt, der alle rund 12.000 Beschäftigten des Werks betrifft.

VW steht harter Arbeitskampf bevor

Bei Volkswagen sind die Angestellten noch in ganz anderer Weise von der Krise betroffen. Nach rund 30 Jahren hat das Unternehmen Anfang September die Beschäftigungssicherung einseitig aufgekündigt – ein ebenso überraschender wie dramatischer Schritt aus Sicht der Arbeitnehmervertreter, die umgehend auf die Barrikaden gingen. Ab Anfang Dezember drohen nun Warnstreiks in Wolfsburg als Begleitung eines absehbar harten Arbeitskampfes.

Die Gewerkschaft IG Metall sowie der traditionell starke VW-Betriebsrat fordern ein Lohnplus von 7 Prozent für die Beschäftigten. Das Unternehmen winkt ab und verweist auf den Sparkurs. Auch Werksschließungen oder betriebsbedingte Kündigungen will der VW-Vorstand nicht mehr ausschließen.

Gewinnwarnungen: Wie sehen die konkreten Zahlen aus?

Bei Mercedes-Benz wurde im September die Prognose für die Automobilsparte gekappt. Anstelle einer Marge von 10 bis 11 Prozent wird lediglich eine Zielspanne von 7,5 bis 8,5 Prozent angepeilt. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr lag die Marge bei 12,6 Prozent und damit bereits 2 Prozentpunkte niedriger als noch im Jahr zuvor. Auch die Industriesparte ist von der aktuellen Gewinnwarnung betroffen, anders als das Geschäft mit Vans.

War man in Stuttgart bisher von einem leichten Rückgang beim Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) ausgegangen, gemessen am Vorjahreswert von 19,7 Milliarden Euro, rechnet man nun mit einem deutlichen Rückgang. Damit fiel die Gewinnwarnung insgesamt drastischer aus als gedacht.

BMW: Gewinnrückgang statt Steigerung

Bei BMW war man zuvor sogar noch von einem leichten Gewinnplus ausgegangen, doch das ist nun vorbei: Stattdessen rechnen die Münchener mit einem leichten Rückgang gegenüber dem Vorjahresergebnis. Zudem wurde auch bei BMW die prognostizierte Gewinnmarge nach unten korrigiert.

Anstelle der bislang erwarteten 8 bis 10 Prozent, was einem kleinen Zuwachs gegenüber dem Vorjahr entsprochen hätte, geht man nun von einem Rückgang auf 6 bis 7 Prozent aus – bedingt vor allem durch die Zusatzbelastungen der Rückrufaktion, aber auch durch die anhaltende Absatzschwäche in China.

VW: Zweite Gewinnwarnung seit Juli

Bei Volkswagen wurde am vergangenen Freitag die zweite Gewinnwarnung während des 3. Quartals bekanntgegeben. Anstelle eines Absatzanstiegs um 3 Prozent gegenüber den 9,2 Millionen verkauften Fahrzeugen im Vorjahr gehen die Wolfsburger nun von einem Rückgang auf nur noch 9 Millionen verkaufte Neufahrzeuge aus.

Beim Umsatz rechnet der VW-Vorstand nach 322 Milliarden Euro in 2023 ebenfalls mit einem leichten Rückgang auf 320 Milliarden Euro im laufenden Jahr. Zuvor war man noch optimistisch von einer Umsatzsteigerung um 5 Prozent ausgegangen. Auch die operative Ergebnismarge wurde zusammengestrichen: Anstelle des bisherigen Zielkorridors von 6,5 bis 7 Prozent hält man bei Volkswagen nur noch 5,6 Prozent für realistisch.

Wie steht es um die Aktien?

Anteilsscheine der Autobranche haben in den ersten 9 Monaten des Jahres deutliche Verluste hinnehmen müssen. Besonders hart trifft es die BMW Aktie, die seit Beginn des Jahres rund ein Fünftel an Wert verloren hat. Auch die im Dax gelistete VW Vorzugsaktie liegt nach 9 Monaten zweistellig im Minus. Mercedes-Benz kommt mit Abschlägen von rund 6 Prozent etwas glimpflicher davon. Zulieferer Continental hat seit Anfang Januar ebenfalls mehr als 20 Prozentpunkte eingebüßt. Kurzum: Für die gesamte Autobranche droht das Börsenjahr 2024 zum Desaster zu werden.

Was sagen die Analysten?

Insgesamt zuversichtlich äußerten sich die Analysten zuletzt mit Blick auf Mercedes-Benz. Trotz aller Widrigkeiten erntete das Unternehmen im September fast ausschließlich Kaufempfehlungen. Die Kursziele für die Mercedes Aktie, die zum Wochenauftakt für gut 58 Euro zu haben war, reichen von 65 Euro (Goldman Sachs) bis 80 Euro (Bernstein Research). Einen Ausreißer bildet die Deutsche Bank, die das Kursziel mit 105 Euro deutlich höher ansetzt als andere Finanzexperten.

Im Schnitt liegt das Kursziel für Mercedes-Benz etwa ein Drittel über dem derzeitigen Wert der Aktie – deutliches Aufwärtspotenzial also. Das bescheinigen Analysten in ähnlichem Umfang auch der VW Vorzugsaktie.

Optimismus bei Mercedes, Skepsis bei VW, Daumen runter für BMW

Allerdings fällt die Stimmung hier schon gemischter aus: Neben einigen Kaufempfehlungen mit Kurszielen zwischen 110 Euro (Barclays) und 140 Euro (Jefferies), gab es auch Stimmen, die lediglich zum Halten der Aktie raten wie das Analysehaus Bernstein Research (Kursziel: 111 Euro) oder die US-Großbanken Goldman Sachs und JP Morgan, die das Kursziel mit 127 beziehungsweise 128 Euro bezifferten. Eine Verkaufsempfehlung gab es Mitte September von der Schweizer UBS, die zudem das Kursziel von 100 auf 84 Euro reduzierte.

Deutlich skeptischer äußerten sich Analysten zuletzt mit Blick auf die BMW Aktie. Zwar sehen sie im Schnitt auch hier Aufwärtspotenzial von rund 11 Prozent, doch die zurückhaltenden Stimmen überwiegen. Mehrheitlich wurden hier zuletzt neutrale Empfehlungen ausgesprochen, nicht selten auch mit reduzierten Kurszielen.

Zum Verkauf rät die britische Barclays Bank, die die faire Bewertung mit 90 Euro ansetzt – ebenso wie die Deutsche Bank übrigens, die im Gegensatz dazu aber eine Kaufempfehlung ausspricht. Zum Kauf der BMW Aktie raten daneben auch Experten der Analysehäuser Warburg Research (Kursziel: 96 Euro) und Bernstein Research (Kursziel: 86 Euro) sowie die US-Großbank JP Morgan, die das Kursziel bei 95 Euro sieht.

Wann gibt es frische Zahlen?

Die detaillierten Ergebnisse für das zurückliegende Quartal lassen noch ein wenig auf sich warten. Erwartet wird, dass Mercedes-Benz am 25. Oktober den Auftakt macht, gefolgt von Volkswagen am 30. Oktober und schließlich BMW am 6. November.