Abschied vom Russlandgeschäft: Verkraftbar oder schwerer Einschnitt?
- Angriffskrieg hat Karten neu gemischt
- Russland verliert an Bedeutung für deutsche Exporteure
- Renault: Bisher eng mit Russland verflochten
- Ukrainekrieg für Europas Wirtschaft schlimmer als Pandemie?
- Fehlende Bauteile: Autobauer kommen mit Produktion nicht hinterher
- Renault dampft Jahresprognose ein
- Weniger Neuzulassungen im März
- Folgt auf Angebotsknappheit bald ein Nachfrageeinbruch?
Wie hältst du’s mit dem Russlandgeschäft? Das ist dieser Tage die Gretchenfrage für viele europäische Unternehmen geworden.
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den 1990er Jahren haben etliche westliche Konzerne Filialen und Produktionsstätten in Russland hochgezogen. Oftmals profitierten sie dabei von russischen Subventionen – unter der Prämisse, dass Standorte innerhalb Russlands eröffnet werden. Ganze Wirtschaftsregionen sind auf diese Weise entstanden, die Einwohner vieler Städte sind weitgehend abhängig von westlichen Unternehmen und ihren Zulieferern, die sich ebenfalls in der Gegend niedergelassen haben.
Angriffskrieg hat Karten neu gemischt
Mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine Ende Februar jedoch haben sich die Voraussetzungen faktisch über Nacht geändert. Westliche Sanktionen gegen Russland umfassen unter anderem Exportbeschränkungen, zahlreiche Unternehmen haben sich aus dem Land zurückgezogen oder ihre Geschäfte dort zumindest vorläufig auf Eis gelegt.
Wie stark sich das Ganze auf Umsatz und Gewinn auswirken wird, ist unterschiedlich. Einen ersten Eindruck vermittelt die Berichtsaison zum Auftaktquartal: Nach und nach gewähren die Konzerne dieser Tage und bis weit in den Mai hinein Einblick in ihre Geschäftsbücher und offenbaren die Entwicklungen von Jahresbeginn bis Ende März.
Russland verliert an Bedeutung für deutsche Exporteure
Zahlen des Statistischen Bundesamtes offenbaren aber bereits jetzt einen deutlichen Rückgang deutscher Exporte nach Russland. Gegenüber dem Vorjahresmonat gingen sie um fast 60 Prozent zurück auf 1,1 Milliarden Euro. War Russland im Februar noch der fünftgrößte Abnehmer deutscher Exporte außerhalb der Europäischen Union, fiel das Land im März auf Rang 12 zurück.
Insgesamt ist der russische Markt also von nachrangiger und weiter schrumpfender Bedeutung für deutsche Exporteure, China oder die USA sind deutlich wichtiger, ebenso wie der europäische Binnenmarkt. Doch für manche Unternehmen, die stärker in Russland engagiert waren, gestaltet sich die Lage schwieriger.
Renault: Bisher eng mit Russland verflochten
Der französische Autobauer Renault etwa, inzwischen zusammengeschlossen mit dem japanischen Hersteller Nissan, spielt seit Jahren eine Schlüsselrolle am russischen Automobilmarkt und ist sogar mit einer Mehrheit an Avtovaz beteiligt – jenem russischen Konzern, der Fahrzeuge der Marke Lada fertigt.
Als Produktionsstandort und Absatzmarkt war Russland in den vergangenen Jahren für Renault weitaus wichtiger als für andere europäische Hersteller. Dementsprechend heftig fallen nun seit Beginn des russischen Angriffskrieges die Rückschläge für Renault aus: Im Auftaktquartal brachen die Absatzzahlen der Franzosen um 17 Prozentpunkte ein, es wurden lediglich rund 552.000 Fahrzeuge verkauft. Es ist der stärkste Rückgang seit mehr als zehn Jahren: Zuletzt hatte Renault im Zuge der globalen Finanzkrise im Jahr 2009 mit Absatzrückgängen in vergleichbarem Ausmaß zu kämpfen.
Ukrainekrieg für Europas Wirtschaft schlimmer als Pandemie?
Das verdeutlicht, was viele Ökonomen bereits befürchtet haben: Das Kriegsgeschehen in Europa, das Säbelrasseln zwischen Moskau und Washington und die Unsicherheit über die künftige geopolitische Ordnung könnten sich weitaus schärfer auf die wirtschaftliche Entwicklung Europas auswirken als es während der Coronapandemie der Fall war. Entsprechende Tendenzen sind auch bei deutschen Firmen zu befürchten. Die Bilanzpräsentationen und Hauptversammlungen, die in den kommenden Wochen auf der Agenda stehen, dürften hier mehr Klarheit bringen.
Renault immerhin konnte seine rückläufigen Absätze zumindest finanziell etwas abfedern. Weil der Anteil an Elektro- und Hybridautos an den Gesamtverkaufszahlen um 13 Prozent stieg und dieses Segment inzwischen rund 36 Prozent der Gesamtumsätze ausmacht, gingen die Erlöse um lediglich 2,7 Prozent zurück auf 9,7 Milliarden Euro. Fast zwei Drittel der Umsatzeinbußen gingen auf das Konto des gestoppten Russlandgeschäfts.
Fehlende Bauteile: Autobauer kommen mit Produktion nicht hinterher
Doch nicht nur das Russlandproblem macht Renault zu schaffen. Wie die anderen Hersteller sind auch die Franzosen von Chipkrise, Materialmangel und Lieferengpässen betroffen – eine Situation, die durch das Kriegsgeschehen in der Ukraine, Sanktionen gegen Russland und die strikte Null-Covid-Politik der chinesischen Regierung zusätzlich verschärft wird.
Trotz prallgefüllter Auftragsbücher kommen die Hersteller mit der Produktion kaum hinterher, Kunden müssen umso länger warten auf die Auslieferung bestellter Neuwagen. Auch der Gebrauchtwagenmarkt ist leergefegt, die Preise für Fahrzeuge mit mindestens einem Vorbesitzer sind zuletzt ebenfalls deutlich gestiegen. Dadurch können die Autobauer zumindest rückläufige Verkaufszahlen wirtschaftlich auffangen, doch mit einer Entspannung im ersten Halbjahr rechnet praktisch niemand mehr – und auch für die zweite Jahreshälfte bleiben die Aussichten ungewiss.
Renault dampft Jahresprognose ein
Renault hat seine Produktionspläne bereits um 300.000 Fahrzeuge zusammengestutzt. Bei der operativen Rendite geht das Unternehmen nur noch von 3 Prozent aus, zuvor hatte man mindestens 4 Prozent als Ziel ausgegeben. Nun kündigte der Vorstand an, die Prognose im Jahresverlauf noch einmal aktualisieren zu wollen – zu ungewiss scheint der Ausblick zurzeit, als dass man die Entwicklung der verbleibenden acht Monate bereits abschätzen könnte.
Für die Franzosen werden die Russlandverflechtungen zum Fiasko, nachdem bereits die Pandemie das Unternehmen härter getroffen hatte als etwa die deutschen Konkurrenten. Renault hatte im Jahr 2020 einen Rekordverlust von 8 Milliarden Euro hinnehmen müssen und staatliche Milliardenkredite in Anspruch genommen.
Weniger Neuzulassungen im März
Die deutsche Autoindustrie hingegen ist einigermaßen souverän durch die Coronakrise manövriert, leidet inzwischen aber ebenfalls unter der anhaltenden Chipkrise und anderen fehlenden Bauteilen. Trotz voller Auftragsbücher kommt es immer wieder zu Produktionsstopps, weil schlichtweg der Materialnachschub ausbleibt. Eine Situation, die zuletzt etwa durch den strikten Lockdown in Chinas Wirtschaftsmetropole Shanghai noch einmal verstärkt wurde.
Innerhalb der Europäischen Union ging die Zahl der neuzugelassenen Fahrzeuge im März erneut zurück. Sie sank um rund 20 Prozent auf etwas mehr als 844.000 Neuwagen. Auch in den USA brach der Absatz nach Angaben des Branchenverbands VDA zuletzt um 22 Prozent ein auf 1,25 Millionen Fahrzeuge, der chinesische Markt verzeichnete einen Rückgang um 1,2 Prozent auf gut 1,8 Millionen Autos.
In Europa lief es besonders schlecht in Spanien und Italien, wo die Zahl der Neuzulassungen um jeweils rund 30 Prozentpunkte einbrach. Frankreich verzeichnete einen Rückgang um 19,5 Prozent, in Deutschland schrumpfte der Markt um 17,5 Prozent. Für das Gesamtjahr rechnet die Branche mit einem Rückgang am europäischen Markt um etwa 10 Prozent im Vergleich zu 2021.
Folgt auf Angebotsknappheit bald ein Nachfrageeinbruch?
Während aktuell die Auftragsbücher voll und die Lieferzeiten lang sind, das Absatzproblem also eher auf Hersteller- als auf Nachfrageseite zu begründen ist, zeichnet sich mittelfristig eine Trendumkehr ab. Angesichts der hohen Inflation, die sowohl den Spritpreis als auch die Anschaffungskosten für Neufahrzeuge in die Höhe treibt und zugleich die Kaufkraft der Privathaushalte schmälert, könnte die Nachfrage bereits in den kommenden Monaten zurückgehen.
Selbst wenn Chipkrise und Lieferengpässe dann im kommenden Jahr überwunden werden könnten, ist dementsprechend nicht mit einer automatischen Erholung zu rechnen – und all das in einer Zeit, in der die Automobilbranche vor tiefgreifenden Umbrüchen steht und hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung erforderlich sind.