Der Salat-Schwindel
von Dan Ferris
Der König des Salatöls wurde im November 1963 verhaftet und in ein Gefängnis in der New Yorker Bronx gebracht.
Sie haben noch nie vom König des Salatöls gehört? Das bezweifle ich nicht.
Es handelt sich hier um eine relative obskure Episode der US-Finanzgeschichte. Und die Lektion, die man aus dieser Geschichte lernen kann, ist essentiell, wenn es darum geht, wie man Gewinne erzielen will, wenn der schwierigste Bärenmarkt seit eine Generation weitergeht.
Und hier ist die Geschichte. Anthony DeAngelis war zuerst Fleischverpacker in New Jersey, dann führte er eine Firma mit Namen “Allied Crude Vegetable Oil Refining”. Diese Firma – kurz “Allied” – lieferte Salatöl an ein großes Warenhaus in New Jersey. Für jede Lieferung erhielt “Allied” einen Beleg des Warenhauses, über die Menge an Salatöl, die geliefert worden war.
Im November 1963 hatte DeAngelis solche Belege im Wert von 60 Millionen Dollar. Das nutzte er als Sicherheit, um Kredite für 175 Millionen Dollar zu bekommen. Und diese Kredite nutze er, um am Rohstoffmarkt mit Salatöl-Futures zu spekulieren.
1962 – als die Salatölpreise fielen – bekam DeAngelis nicht das, was er erwartet hatte. Stattdessen bekam er das, was er verdiente: Er verlor das gesamte Geld, das er sich geliehen hatte, und “Allied” ging pleite. Sein Lager ging an den größten Gläubiger – American Express – über.
American Express entdeckte schnell, dass in den Salatöl-Tanks hauptsächlich Meereswasser war. Es wurde später herausgefunden, dass bei Kontrollen im Labyrinth der Lagerhallen die Nummern auf den Tanks vertauscht worden waren. So wurden von den Kontrolleuren die Tanks, die wirklich Salatöl enthielten, zweimal gezählt. In andere Tanks wurde im Auftrag von DeAngelis nur soviel Öl eingefüllt, dass es an der Oberfläche des Salzwassers schwamm. Und jeder, der sich nur die Oberfläche ansah, wurde dadurch betrogen.
Als dieser Skandal an die Öffentlichkeit kam, fielen die Aktien von American Express um 45 %, von 60 Dollar pro Aktie bis auf 35 Dollar Anfang 1964.
Damals führte Warren Buffett eine kleine Investment-Gemeinschaft, die er 8 Jahre zuvor mit 105.000 Dollar (die er sich von Familie und Freunden geliehen hatte) gegründet hatte. Und der Mentor von Warren Buffett, Benjamin Graham, beobachtete den “Salatöl-Schwindel” mit großem Interesse. Buffett untersuchte die Situation und kaufte Aktien, als er zu der Einschätzung gekommen war, dass das Management von American Express ehrlich und glaubwürdig geblieben war.
Buffett investierte 40 % seines verfügbaren Kapitals in American Express, und damit kaufte er rund 5 % aller Aktien dieser Gesellschaft. 2 Jahre später hatte er damit 20 Millionen Dollar verdient.
Buffett landete vergleichbar spektakuläre Coups. So kaufte er z.B. GEICO, eine Versicherungsgesellschaft, die am Rande der Insolvenz stand. Heute gehört ihm die gesamte Gesellschaft. Und kurz nach dem 19. Oktober 1987 – dem berühmten Oktober-Crash – kaufte er Coca-Cola. Und in den späten 1990ern, als die Leute davon sprachen, dass die Immobilien in Kalifornien völlig “out” seien, kaufte er Aktien der Wells Fargo Bank. Und er kaufte noch einmal Aktien von American Express – und alle diese 4 Aktien hält er noch heute.
Buffett hatte Unternehmen gekauft, bei denen eine hohe Pleitewahrscheinlichkeit bestand. Inklusive Berkshire Hathaway, einem Textilfabrikanten, der heute seine Holding-Gesellschaft geworden ist. Er kaufte die bankrotte “Fruit of the Loom” im Jahr 2001 für 835 Millionen Dollar. Und er führte seine Holding-Gesellschaft so, als ob sie ein “Value”-orientierter Fonds wäre. Er investierte in Unternehmen mit hohem Wert, wenn diese niemand haben wollte. So schaffte es Warren Buffett, aus jeden 10.000 Dollar, die 1965 investiert wurden, bis heute 14 Millionen Dollar zu machen.
Leider ist die Karriere von Warren Buffett schon zu weit fortgeschritten, als dass man jetzt noch auf ihn setzen könnte, um ein Vermögen zu machen. Buffett selbst räumt ein, dass die Aktien seiner Holding-Gesellschaft Berkshire Hathaway inzwischen überbewertet sind!
Aber seine Strategie – unter Druck stehende und dennoch fundamental gesunde Unternehmen zu Schnäppchenpreisen zu kaufen – ist immer noch für Investoren lehrreich.
Eine Studie der Kurs-Buchwert-Verhältnisse von 1963–1990 fand heraus, dass die am geringsten bewerteten Aktien die höchste Rendite bei geringstem Risiko einbrachten. Die sichersten, billigsten und profitabelsten Aktien sind ein und dieselben, so die Verfasser der Studie, Eugene Fama und Ken French.
Das ist ja alles schön und gut … aber was ist mit dem gesamtwirtschaftlichen Umfeld? Zum Beispiel, was macht man während des größten Bärenmarktes seit einer Generation? Reflektieren der Aktienkurs eines Unternehmens zum größten Teil dessen wirtschaftliche Entwicklung … oder ist er mehr von der Entwicklung des Gesamtmarkts abhängig?
Cliff Asness, der akademische Manager eines 5 Mrd. Dollar schweren Hedgefonds, drückt Zweifel über die zukünftigen Aussichten für die meisten Aktien aus. Er rechnet mit durchschnittlich 6,5 % Wachstum bei den Gesellschaften des S&P 500. Technisch gesehen ist das die Rendite, die man bei den Aktien des S&P 500 in den nächsten Jahren erwarten kann.
Wenn man davon die Rendite der 10jährigen US-Staatsanleihen von 4,3 % abzieht, dann erhält man 2,2 %. Das ist die sogenannte Risikoprämie – der unsicheren Anlagen (Aktien) gegenüber den vermeintlich sicheren (Anleihen).
Diese Risikoprämie war vor dem Crash 1929 bei Null – das heißt, man erhielt keine Prämie dafür, wenn man ein Risiko einging. Das war wahrscheinlich die größte Untertreibung des gesamten Jahrhunderts.
Im Gegensatz dazu lag die Risikoprämie 1972 bei 3 %. Und Anfang 2000 war die Risikoprämie sogar negativ … und wir wissen, was dann passierte.
Ein intelligenter Investor sieht sich derzeit mit einem Dilemma konfrontiert. Die Spekulationsblase am US-Anleihenmarkt platzt gerade. Die Aktienkurse sind entweder auf dem Weg in eine neue Spekulationsblase – oder sie werden fallen.
Aber der verhaltene Ausblick für Aktien ist nicht notwendigerweise ein Zeichen für Verzweiflung. Ideal ist es, wenn man ein Investor ist, der nach Aktien sucht, die extrem niedrig bewertet sind. Aktien kann man leichter ignorieren, wenn sie sehr hoch bewertet sind.
Wenn Sie dem Beispiel von Warren Buffett folgt und nach den billigsten Aktien des Marktes sucht, dann kann man vernünftigerweise erwarten, die sichersten und höchsten Erträge zu erzielen. Und mit niedrig bewerteten Aktien erzielt man höhere Renditen – egal, ob der breite Markt überbewertet ist oder nicht.